Samstag, Dezember 05, 2020

Heilung von Autoritäts- und Erziehungsschäden: Augusto Boals erstes Zentrum in Paris inspirierte mich

Heilung von Autoritäts- und Erziehungsschäden: 

Die Idee von Augusto Boal für ein Zentrum in Paris inspirierte mich ...

Nach seinem ersten kurzen Exil in Portugal bekam Augusto Boal einen Lehrauftrag an der Sorbonne in Paris und plante mit etlichen Leuten dort ein „Zentrum zur Heilung von Autoritäts- und Erziehungsschäden".

Neben den neuen Methoden des Forumtheater sprach mich das enorm an:

Als Sohn eines SA-Mannes, der an der Ostfront 1942 einen "Fuß verloren" hatte und ab 1943 deshalb als gelernter Schreiner an der TU München noch eine Umschulung zum Berufsschullehrer bekam, hatte ich, wie die beiden Brüder, die Erziehung des Postfaschismus bekommen: 

Es galt das Alte aus dem "3. Reich" weiter, ohne die Worte des Führers zu benutzen, ab 1950 waren wieder die alten Mächte in ihren Ämtern, Beamte, Juristen, Polizei, Geheimdienste und dann die Neue Reichswehr, bis heute Tradition.

Den kirchlichen Aufbruch des Konzils 1963 in die 1970er Jahre erlebte ich als Ministrant und verarbeitete ich im Ketzerbrevier

Das Ketzerbrevier eines Altöttinger Ministranten „denn sie wissen nicht, was Liebe ist“ rechnet mit der antikommunistischen Kirchenstruktur des letzten Jahrhunderts ab … http://www.agspak-buecher.de/Fritz-Letsch-denn-sie-wissen-nicht-was-Liebe-ist

Befreiende Pädagogik lernte ich im Studium der Gemeinde- und Religionspädagogik kennen, wie auch die Befreiungstheologie, später folgte noch eine Befreiung von der Theologie.

Mit Augusto Boal lernte ich in München 1981 und Berlin ff bis 1999 und in Linz 2004

Gestalttherapie, und das Lernen in Gruppen

politische Supervision (ab hier noch Baustelle)

Slideshare.net/FritzLetsch/cto2

Von den Unterdrückten her denken

Wer sind die Unterdrückten? 

Wann kam das Wort "aus der Mode"?

Die 1.Internationale und Bakunin

hatte noch nicht die zentralistische Orientierung, die Marx und Engels mit dem Ausschluss von Michail Bakunin und der Jura-Assoziation betrieben:

Die Diktatur des Proletariats und die Befreiung durch eine Partei

Was später Rosa Luxemburg, der früheren SPD-Kämpferin als "Luxemburgismus" vorgeworfen wurde, ihre angeblichen Fehler waren Diskussionen mit Lenin über den Kurs in der Partei ... bis zu ihrer Ermordung im Januar 1919.

von der Pädagogik der Unterdrückten von Paulo Freire

die aus Brasilien in den 1970er Jahren über kirchliche Kreise nach Deutschland kam

und der Arbeit mit Augusto Boal und dem Theater der Unterdrückten

die über viele Jahre von 1981 an in München zu erleben war, zuletzt 1999 im Rathaus als "Legislatives Theater"

als angewandte gemeinschaftliche Forschung in Gruppen und in öffentlichen Aufführungen

zur Heilung von Erziehungs- und Autoritätsschäden

und zu den diversen, feministischen und queeren Bewegungen,

die heute dafür von reaktionären Kräften angegriffen werden, wie in der Sexualpädagogik.
Die Engführung als "marxistisch" durch Öffnen für kritische Dialoge
wie mit Michail Bakunin und Rosa Luxemburg exemplarisch in die Geschichte einbringen ...
Kritische Wissenschaft Heute (@KritWiss_Heute) twitterte um 10:55 AM on Sa., Dez. 05, 2020:
Die Kritische Psychologie ist maßgeblich in Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse nach Freud und als Versuch ihrer Weiterentwicklung entstanden.
Hier eine persönliche Sicht auf den Zugang zu beiden: https://t.co/UANphCFWA9 (https://twitter.com/KritWiss_Heute/status/1335160736113364992?s=03)

Den Blick ausweiten: Psychotherapien

Die Geschichte der Kritischen Theorie entstand im Exil in den USA: Nach der Rückkehr in das postfaschistische Täuschland hatte die "Frankfurter Schule" wieder hauptsächlich mit der Psychoanalyse zu tun, weil Psychologie an den Hochschulen und die neuen humanistischen Methoden der Psychotherapien noch nicht verbreitet waren.

Kodierung und Dekodierung

beschreibt das System, mit dem wir im Theater in Bildern kommunizieren:

Ich finde für meine Unterdrückung ein Bild und stelle es anderen vor: Das ergibt einen Code, den alle verstehen können sollten.

Nun müssen wir nicht an meinen Gefühlen diskutieren, an meiner Geschichte, sondern an dem Code, den alle verstehen, analysieren können: Ihre Assoziationen, Erinnerungen, Varianten einbringen, daraus entsteht eine Forumtheater-Szene, die für alle verständlich ein Unrecht darstellt, das verändert werden muss. Alle im Publikum verstehen den Code und können in ihrem folgenden Alltag entsprechende Szenen DeKodieren.

Codes in Gesprächen aufbauen

Codes sind immer neue freie Vereinbarungen. Die Grundlage: Wir wollen uns verständigen, nicht die anderen Missionieren, überreden, überzeugen. Jede Person darf bei ihrer Haltung bleiben.

Rassismus und Verschwörungs-Erzählungen wollen Angst verbreiten und Panik erzeugen, dass unsere Privilegien verloren gehen. Ausgehend von 150 Jahren Kolonialismus, die tabuisiert wurden, denke ich, dass  wir vor allen Bescheidenheit lernen sollten, damit uns nicht die Klima-Katastrophe die nächsten Jahre hinwegfegt.

Das wäre eine Ausgangslage, die ich in ein Gespräch einbringen würde. Wer damit nicht einverstanden ist, muss mir erklären, was er dann mit und von mir will.

Jede Gruppe und Selbsthilfegruppe hat solche Grundlagen, und zum Umgang mit Ansteckungs-Ängsten, Hygiene, und Viren werden wir entsprechende Codes entwickeln.

Lasst uns nicht nur von den äußeren Vorschriften bestimmen: Den Rahmen selbst zu definieren, ist stabiler für unsere Gruppe.

 

Kollektives Trauma

Schock-Politik und die Kritische Theorie dazu: Kein Dialog, Nirgends?


Syndikalismus: Gemeinsam ...

 

Sonntag, November 29, 2020

Eine Lernende Organisation ist wie ein Mensch, der seine Erfahrungen wach in sein nächstes Handeln einbringt:

 https://web.archive.org/web/20140419235036/http://fritz-letsch.wikispaces.com:80/lernende+Organisation

lernende Organisation

Eine Lernende Organisation ist wie ein Mensch,
der seine Erfahrungen wach in sein nächstes Handeln einbringt:

Aber nicht überfordert und überlastet wie Einzelne,
sondern abgesprochen, gemeinschaftlich, unterstützend.

Nicht angegriffen und gekränkt, sondern Verständnis suchend,
nicht resigniert, sondern aktiv, die Reaktionen verstehen wollend,
im Sinne aller Beteiligten, der Gesellschaft und der Umwelt.

Grundlage dafür ist gemeinschaftliches Denken, das nicht die Erfolge der Einzelnen,
sondern die gemeinsam erreichten Ziele der Einrichtung im Vordergrund sieht.

Fehler machen dürfen

Zu einer lernenden Organisation gehört eine offene Fehler-Kultur:
Fehler-Bereiche zur Position angemessen definieren, Risiko-Abschätzungen üben und reflektieren, aus den Fehlern gemeinschaftliches Lernen ohne Belastung der Person organisieren.

http://www.lernendeorganisation.de.vu
http://de.wikipedia.org/wiki/Lernende_Organisation
http://www.4managers.de/management/themen/lernende-organisation/
dort:

Wie eine Organisation lernt

Eine Organisation kann sowohl mehr, als auch weniger Wissen haben als die Summe ihrer einzelnen Akteure (s.a. Wissensmanagement)

Nachhaltig lernende Organisation

Durch Beteiligung aller Mitarbeitenden in einem Bereich und durch Orientierung auf alle Ebenen der Einrichtung und ihrer Umwelt wird ein Prozeß angeregt, der von den Beteiligten immer wieder selbst angestoßen und erneuert werden kann.
Die Nachhaltigkeit bezieht sich damit auf den zeitlichen und den umweltbezogenen Kontext und deren Veränderungen.

Start dieses Themas

http://www.slideshare.net/lembke/lernende-organisation-und-change-management-neu-gedacht

sehr viel frühere Grundlagenarbeit: Fritz Letsch:

Lernen zurückerobern, Theater-Werkstatt-Arbeit als kooperative Arbeitsform

erschienen in: Kulturen des Lernens, Bildung im Wertewandel, Hg. von Hannelore Zimmermann & Verband unabh. Bildungsinitiativen und Tagungshäuser Baden-Württemberg, talheimer sammlung kritisches wissen 1995

Fast alle unsere herkömmlichen Lernstrukturen sind autoritär organisiert. Vor allem das Lernen und Lehren, aber auch die verschiedenen Formen von Arbeit und Zusammenarbeit sind von der Situation eines ,vorne und hinten', eines ,unten und oben' geprägt, auch wenn in vielen Situationen die Einwegkommunikation aufgelockert wurde.

Obwohl einzelne Lehrende bemüht sind, demokratische Formen einzuführen, das Prinzip ist geblieben: Die Lehrperson gibt Wissen ab, die Lernenden dürfen Fragen stellen, jemand gibt Arbeit, andere erledigen sie gegen Bezahlung; jemand hat Fachwissen, die anderen können es gegen Leistungen übernehmen. Es wurde uns beigebracht, dass darin ein Gefälle, dass belehren ein einseitiger Fluss zu sein hätte.

Dabei wird gerade auch im Geschäftsleben und nun auch im ,lean management' das alte System der Kontrolle durch die Mächtigen von einem Arrangement aller Beteiligten abgelöst, weil Partnerschaften die Energie besser fliessen lassen.

Modelle, in denen es auch anders geht, sind reichlich, aber nicht sehr bekannt. Neben den Selbstverwalteten Betrieben, Belegschaftsbetrieben, Kooperativen und Genossenschaften sind in den einzelnen Sparten verschiedene Gemeinschaftsstrukturen entwickelt worden: Gemeinschaftspraxen, Kanzleigemeinschaften, Kollegen-Netze und Bürogemeinschaften.

Ein sehr schönes Modell der Übergabe eines ,Chef-Betriebes' in Belegschaftshand durfte ich Anfang des Jahres in Birmingham erleben: Der Besitzer einer Installationsfirma für Zentralheizungen mit 14 MitarbeiterInnen möchte in den nächsten zwei Jahren in Ruhestand gehen, sein Sohn möchte die Firma nicht übernehmen, an die Konkurrenz oder Aussenstehende möchte er nicht verkaufen.1)

Eine Agentur erstellte ein Programm, zusammen mit der Belegschaft den Ankauf und die Übernahme der Verantwortung zu organisieren: Die Finanzen der einzelnen als Teilhaber, den Wert des Betriebes, Modalitäten der Übernahme, Fortbildungen für das Verständnis des Betriebsablaufes und ein Entwurf für die Struktur des Betriebes als Kooperative sind einzelne Elemente dieser Arbeit. Im Verlauf der Übernahme soll den einzelnen MitarbeiterInnen die Sicherheit und Kompetenz für die Mitverantwortung vermittelt werden, die zur gemeinsamen Verwaltung notwendig ist.

Solches Lernen nur ,vom Katheter aus' zu organisieren, wäre wie rein theoretischer Fahr-Unterricht: Ohne das Erleben der eigenen Fähigkeit und die Ansiedlung im eigenen Erfahrungsfeld und den schon beherrschten Arbeitsformen sähe das wie eine glatte Überforderung aus.

Die Feststellung dass jeder Mensch, der sich überlegt, ob er sich gerade noch ein Bier leisten kann, damit eine Haushaltsentscheidung trifft, und dass neben der scheinbaren Komplexität von Haushaltsplänen und Bilanzen jedeR sowieso die Konsequenzen der nötigen Entscheidungen trägt, sind bescheidene Angriffe auf eine Bastion der Macht: Geld und alles darum herum sind Tabus, von Berufsfertigkeiten der Buchhaltenden auch wohl behütet. Den gleichen Schutz geben Lehrende ihrem Berufsfeld: Wir tun das Beste für Euch!

Veränderungen lernen

Gegenbewegungen und ihre Re-Integration: Verschiedene politische Bewegungen, später unter dem Begriff ,Neue Soziale Bewegungen' zusammengefasst, haben Veränderungen des HERRschenden (Geschäfts-)Lebens bewirkt - punktuelle oder auch grundsätzlichere. So wie die Ostermarschierer zuerst nur die Wiederbewaffnung, die Atomkraftgegner diese gefährliche Technologie, die Friedensbewegung die Nachrüstung und die Ökologiebewegung die Zerstörung unserer Lebensgrundlage verhindern wollten, entstanden noch viele andere Bewegungen, die oft nur an einem Punkt begannen, aber durch die (Nicht-)Beachtung durch Verantwortliche, Öffentlichkeit oder staatliche Gewalt breiter, kritischer und politischer wurden.

Durch solche Konfrontationen und dem Gefühl der eigenen Machtlosigkeit entdeckten immer wieder mehr Menschen die ,Gewaltfreie Aktion'. In der BRD werden unter diesem Namen schon lange Trainings angeboten, die für eine politische Einmischung und Veränderung qualifizieren. Die Grundidee hierfür kam aus der gewaltfreien Bewegung Ghandis, die Methoden aus den Bürgerrechtsbewegungen der USA, die Anwendungsidee aber kommt aus dem jeweiligen Kontext einer Gruppe, die ihre Aktion selbst entwickelt und durchführt. TrainerInnen können von den Gruppen herangezogen werden, um an den Ursachen des Problems, den Zielen der gemeinsamen Arbeit und der Umsetzung der beschlossenen Aktionen zu arbeiten - neue Wege erschliessen sich, wenn gängige Reaktionsmuster aufgegeben werden.

Die Krankheiten des Systems und ihre sprechenden Symptome erfordern Žnderung statt Anpassung. Den einzelnen Symptomen muss auf den Grund gegangen werden, damit eine Veränderung Konsequenzen haben kann: auf Macht und Geld, Status und eigene Sicherheit, auf Gewohnheit und Sonderrechte. Die Angst vor Verlusten ist so das grösste Hindernis, klar und bewusst auf eine Problematik zuzugehen.

Eine Lust auf Veränderung ist dagegen nur mit Entdeckungen zu wecken: Wenn das ,Andere' denkbar wird, folgen Versuche ihm näher zu kommen unmittelbar. Die Suche nach Verbesserungen ist der Motor unserer Entwicklung. Diese Lust mitzumachen, kann aber nur in offenen Systemen gemeinschaftlichen Lernens erfahren werden. Schulen, Universitäten und Betriebe lassen in ihrer hierarchischen Struktur kaum konkurrenz- und wertfreie Räume zu.

Die Möglichkeiten der freien Szenen erscheinen im Gegensatz dazu zwar zuerst oft vage und undeutlich, bringen aber weit interessantere Ergebnisse, als die herkömmlichen Formen des Unterrichts - gute Moderation und Anleitung vorausgesetzt. Das gemeinsame Lernen und Entwickeln an einer Thematik setzen auch sehr viel tiefer an der Motivation der einzelnen an, so dass Kraft und Energie in besonderer Weise freigesetzt werden.

Diese Erfahrungen werden heute immer noch weitgehend vernachlässigt, es findet keine Übersetzung in die alltägliche Praxis unserer Kinder, Studierenden und Mitarbeitenden statt: Nur in wirklich erlebter Gemeinsamkeit, im gleichberechtigten Austausch in allen Teilen ist diese Motivation zu wecken. Dass vor allem Lehrende sich damit so schwer tun, ist für mich ein ernüchternder Schrecken: Viele haben tatsächlich nur Stoff abzugeben, haben keine grundlegende Kommunikation gelernt. Aber: Wer Kindern Stoff verabreicht, macht sie süchtig.

Wie sich Schulen zu Kinder-, Jugend- und Lernzentren entwickeln könnten, in denen ihre natürliche Neugierde nicht zerstört wird, in denen sie auch lernen, sich vor dem unberechtigten Zugriff Erwachsener zu schützen, ihre eigenen Interessen herauszuarbeiten und zu vertreten, statt eine verdummende Jugendzeit zu verbringen, müssen wir alle erst lernen. Es gab derartige Traditionen und es wird nötig sein, neue Bräuche dieser Art zu entwickeln, offene Traditionen zu finden.

Lust an Arbeit

Von verdorbenen Begriffen zum eigenen Inhalt: Beim Wort ,Arbeit' reagieren die meisten Menschen, die ich kenne, eher negativ. Ich arbeite gerne, ohne davon süchtig zu sein, weil mir die meisten Aufgaben Spass machen oder mich längerfristig weiterbringen. Bei vielen ist allerdings nicht nur der Begriff verdorben, sondern auch der Inhalt: sie fühlen sich nicht ernst genommen, empfinden ihr Schaffen ziellos, ärgern sich über lästige Kollegen, es fehlen ihnen Verbindungen zur eigenen Identität.

Auch die alte Theologie schlägt noch auf die heutige Wirklichkeit durch: Leben und Arbeit wären Leiden, nur gesegnete Menschen lebten im Reichtum, der Rest muss Fron erleiden. Mit unserer heutigen Denkweise ist dies zwar nicht mehr zu vereinbaren, aber diese alten Bilder wirken noch, stecken ganz tief in uns. Würden wir sonst so unreflektiert die Mythen des Kapitals schlucken? Doch nicht nur, weil wir zur ,Belohnung' kurz mal in den Urlaub fliegen dürfen?

Das eigene zu definieren ist nur möglich, wenn wir auch selbstbewusst sind. Dieses Wissen um unser Selbst entsteht im Austausch mit anderen und kann damit auch nur gemeinsam entwickelt werden. Der Verlust vieler Verbindungen und auch der Rituale, die Kontakte organisieren können, hat zu grosser Unsicherheit geführt, die nur im Dialog aufgehoben werden kann, und für die unsere Medienlandschaft kein Ersatz sein kann. Nur durch die konkreten Auseinandersetzungen erleben wir uns als Teil unserer Mitwelt, nur das gibt uns letztendlich die Anerkennung, Geborgenheit und Sicherheit, auf die wir uns verlassen können. Die allzu bekannten Spielformen der Oberflächlichkeiten täuschen Verbindung nur vor, verankern uns nicht in unseren Zusammenhängen.

Wenn wir unsere tieferen Erfahrungen, die sich oft nur in unseren Gefühlen ausdrücken, ernst nehmen, wird allzu oft deutlich, dass unsere Lebensformen den eigenen Bedürfnissen oft nicht gerecht werden (können). Da ein Patentrezept, das für alle gelten kann, nicht in Sicht ist, sollte vielleicht jeder damit beginnen, den eigenen Stil selbst-bewusst zu definieren und den anderen als wandelbar und auseinandersetzungsfähig darstellen.

In Systemen vernetzt denken

Hinter dem Stichwort ,Vernetzung' verbirgt sich eine neue Denkrichtung, die uns Veränderungen gegenüber wacher macht: das Systemische Denken. Ausgangspunkt ist, dass alle Menschen Teile eines Systems sind, durch das sie die Welt begreifen und je nach ihrem Standort (Wissen, Erfahrung, Stellung, Herkunft) für sich definieren. Indem ich Kontakt zu anderen, mir bisher fremden Teilsystemen und -ebenen aufnehme, wird die eigene Definition wieder in Frage gestellt.

Indem wir begreifen, dass wir das System anderer nicht einfach in unser eigenes einfügen können, sondern in der Realität mit mehreren Systemen und Blickwinkeln leben, ist die Vernetzung ein offener Austausch, eine mögliche Begegnung von anerkannt Verschiedenem. Diese Anerkennung beinhaltet den Respekt vor den Positionen der anderen und muss folglich auch von einer mehrfach verschiedenen Sicht der Welt und unserer Existenz darin ausgehen. Eine Verständigung wird in der Begegnung möglich, die nicht die anderen zum eigenen Standpunkt missionieren will. Eine der Grundlagen dafür ist, den ,Besitz der Wahrheit' als Haltung aufzugeben.

Von verschiedenen Blickwinkeln zum Gemeinsamen: Wir haben in unseren hierarchischen Systemen gelernt, dass die Wahrheit von oben definiert wird, wenn auch alle dabei von Demokratie und Gemeinsamkeit reden. Ein offener Umgang mit mehreren Wahrheiten ist in unseren Kommunikationsformen nicht vorgesehen.
Ich möchte im folgenden einige Formen des ,Theaters der Unterdrückten' vorstellen, die es ermöglichen, mit der Realität aus dem eigenen und dem fremden Blickwinkel umzugehen. Damit kann eine Sicht auf das Gesamte unserer Gesellschaft und unserer Wirklichkeit ermöglicht werden. Das ,Theater der Unterdrückten' in der Art von Augusto Boal korrespondiert in seinen Grundlagen mit der Pädagogik Paulo Freires und mit den Prinzipien der Kritischen Psychologie.

Im Rahmen meiner Arbeit hier suche ich noch einen passenden Begriff. ,Theater der Unterdrückten' wird in unserem Kontext oft falsch verstanden, mit dem klassenkämpferischen Zungenschlag der Moderne zusammengebracht. Dabei überwindet gerade diese Methodik die Front-Definition. Als Versuch der Neubenennung ist der Begriff ,Reale Theaterarbeit' im Gegensatz zum ,Illusionstheater' entstanden.

Beispiel: Reale Theaterarbeit

Das Wort Theater ist missverständlich geworden, seit viele Menschen aufgebrochen sind, die alten Spiele und Rituale zur Deutung und Ver-Deutlichung ihres Alltags einsetzen. Die TheaterwissenschaftlerInnen kommen kaum nach, die Kriterien und Abgrenzungen für die jeweiligen Methoden fortzuschreiben. Was zwischen Improvisation, Psychodrama, Rollenspiel, Lehrstück-Arbeit, Theatertherapie, etc. entworfen und entwickelt worden ist, lässt sich natürlich jeweils ableiten und einordnen, so auch meine Arbeit.

Mein Spezialbereich ist das ,Theater der Unterdrückten', wie es uns Augusto Boal aus Brasilien ins europäische Exil mitgebracht hatte. Er wiederum bezieht sich (neben etlichen anderen) vor allem auf Brecht: Die Arbeit an der Erkenntnis entspricht sehr dem Ansatz der Bewusstseinsbildung bei seinem pädagogischen Landsmann und Kollegen Paulo Freire.

Die offene Sammlung von Methoden, die das Theater der Unterdrückten neben einem Grundkanon darstellt, kann auch unseren Kontext der verdeckten Mechanismen und Tabus durchleuchten helfen und eine spielerische Erkenntnis-Anleitung in unsere verschiedenen sozialen und pädagogischen Lernfelder bringen.

Der Begriff ,Reale Theaterarbeit' ist ein Versuch, im Gegensatz zu Literatur-Inszenierungen, das Eigene in Szene zu setzen.

1. Die Methoden des ,Theaters der Unterdrückten'

,Das Theater der Unterdrückten ist immer Dialog: Wir lehren und lernen (_). (Es) geht von zwei Grundsätzen aus: Der Zuschauer, passives Wesen, Objekt, soll zum Protagonisten der Handlung, zum Subjekt werden und das Theater soll sich nicht nur mit der Vergangenheit beschäftigen, sondern ebenso mit der Zukunft. Schluss mit einem Theater, das die Realität nur interpretiert; es ist an der Zeit, sie zu verändern (_). Theater der Unterdrückten' heisst Auseinandersetzung mit einer konkreten Situation, es ist Probe, Analyse und Suche" (Boal 1980, S. 68).

Das Statuen-Theater ist ein Grundelement gemeinsamer Theaterarbeit, es ist wie der Buchstabe in der Sprache der Bilder. Die Technik ist einfach, die Zuschauer setzen ihre Vorstellungen in ein Gruppenbild um, mit Hilfe der Ausdrucksmöglichkeit ihrer zu Statuen erstarrten Körper. Damit wird einer Unterdrückungssituation ein Gesicht gegeben, das die Vielschichtigkeit der jeweiligen Situation in Szene setzt. Diese Bilder geben mehr Einblick in die Komplexität von Situationen als lange Erklärungen und Diskussionen, weil die persönliche Sicht- und Erlebensweise ganz deutlich wird.

Ausgangspunkt für das Statuen-Theater ist ,eine Runde Körperbewusstsein', bei mir eingeleitet durch einfache Übungen von Fuss bis Kopf, die neben der Beweglichkeit und Aufmerksamkeit auf Deformationen des Körpers und mit den Variationen unseres Ausdrucks im jeweiligen sozialen Kontext spielen.

Der Übergang zum Forum-Theater ist dann fast fliessend: Wenn ein Bild von Unterdrückung und Resignation aus dem Statuentheater in einen sozialen Kontext gesetzt und um die Handlungsebene mit Sprache, Gestik, Bewegung und Handlung versehen wird, kommt ,Handlungsbedarf' ins Publikum: Der Wunsch, Resignation und Unterwerfung nicht mit ansehen zu müssen, und eigene ähnliche Erfahrungen oder Žngste lassen meist im Nu Teilnehmende aufspringen und Versuche eines anderen Ausganges der Szene entwerfen und erproben.

Der Zuschauer kann über den Joker Einfluss auf den Spielverlauf nehmen. Der Joker vermittelt zwischen den Spielszene-SchauspielerInnen und dem Publikum. Er stellt dem Publikum knapp das Umfeld der Szene vor, macht vielleicht auf Besonderheiten in einzelnen Rollen aufmerksam (Alter, Geschlechtertausch, Beruf, Schicht, etc.) und lädt das Publikum nach der ersten Vorstellung der Szene zur Veränderung ein. Wichtig ist dabei, dass alle neuen Versuchspersonen in der Wiederholung die gleiche Ausgangsszene bekommen und diese auch nicht einfach magisch verändern dürfen.

Verschiedene Techniken des Bilder-Theaters, auch ,images' genannt, dienen vor allem der Vertiefung und genaueren Untersuchung von Szenen. Dabei wird die Ausgangs-Statue oder eine Passage aus einem Forum-Theater genommen und durch die anderen Teilnehmenden mit den Polizisten im eigenen Kopf konfrontiert, die (ähnlich die Eltern- und Lehrer-Ichs) die eigenen Über-Ich-Rollen aussprechen sollen, welche Assoziationen die anderen TeilnehmerInnen in die Szene tragen. Aus dieser ,kollektiven Projektion' wählen dann die spielenden Personen Anteile aus, die ihnen interessant und wichtig erscheinen.

Der Regenbogen der Wünsche ist eine sehr ähnliche Methodik, die allerdings vor allem die möglichen Wünsche der beteiligten Personen in den Projektionen aufscheinen lässt. Die Spielenden wählen auch hier wieder die Ideen der hinter ihnen sprechenden Personen aus, die ihnen selbst im Kontext hilfreich sein könnten.

Daneben gibt es noch eine Menge von Techniken und Übungen, die zur genaueren Erforschung einer Thematik dienen können. Das Unsichtbare Theater zählt für mich in unserer Kultur zu diesen Werkzeugen. Es ist eine gute Hilfe, Tabus auf ihre Wirksamkeit und ein Publikum auf unsere Vorurteile hin zu überprüfen. Einen anderen als einen kritisch-reflektierten Einsatz kann ich nicht befürworten, weil eine nur spielende Verwendung zu unfruchtbaren Irritationen aller Beteiligten führt.

Regelmässig wird mir die Frage gestellt, wie die Grenze zu Psychodrama und Therapie zu ziehen ist. Der Hinweis von Augusto Boal, dass unser gesamtes Handeln immer gleichzeitig psychologisch, pädagogisch und politisch ist, ist für das verantwortliche Berufshandeln vieler keine Hilfe, kann aber eine Richtung weisen:
,Theater der Unterdrückten' wird immer auf den sozialen und pädagogischen Kontext eingehen und dabei Mechanismen und Prägungen unserer Psyche wahrnehmen, anspielen und austauschen, ohne auf der psychologischen Ebene in die persönlichen Geschichten zu gehen, wohl aber den politischen Hintergrund zu bearbeiten. So liegt gerade in der Projektionsebene ,der Polizisten und der Wünsche' der Reiz in der Situationswiedergabe der ganzen Gruppe. Im klaren Blick auf die gemeinsame Prägung versteht sich die einzelne spielende Person dann als beispielgebende, nicht als Deutungsobjekt der anderen.

Vom Rollenspiel hebt uns der weitergehende Schritt zur ,Probe auf die Wirklichkeit' ab. Was zumindest in den mir bekannten Rollenspiel-Riten oft an der Person oder ihrer Situation hängenbleibt, wird im ,Theater der Unterdrückten' auf die gesellschaftliche Wirklichkeit übertragen: Stimmt meine Interpretation eines Zusammenhanges auch in einem anderen Bereich? Žndert eine neue Sichtweise auch andere meiner Lebensbereiche? Auf der Suche nach authentischen Verhaltensweisen geraten wir jeweils über fachliche und berufliche Grenzen zu neuen Fragen.

Von der Spielpädagogik zum eigenen ,Ernst des Lebens' führt somit ein gradliniger Weg, der auch sofort gemeinsam begangen werden kann. Der unverbindliche ,Spass' wird dadurch nicht zur sturen Arbeit, sondern zu einem tieferen Erleben gemeinsamen Ausprobierens, das manchmal makabererweise, in den tiefsten und bittersten Situationen die beste und herbste Komik bekommen kann.

Aufbrüche wagen

Das ,Reale Theater', das ,Theater der Unterdrückten' taugt zu szenischer Arbeit in postmodernen Verhältnissen, weil es das Denken in systemischer Vielfalt in den Szenen und in der gemeinsamen Regiearbeit transparent machen kann. Ausgehend von den Kernszenen, die in den Statuen - oder in den Forum-Bildern von Teilnehmenden vorgestellt werden, entwickeln wir ja gemeinsam den Blick auf Mechanismen der Unterdrückung (und Unterwerfung), in der die Wahrnehmung jeder Person unbestritten neben die der anderen gestellt wird. Dabei geht es aber nicht um Beliebigkeit, sondern um Einfühlung: Da jeder Mensch mit seiner Geschichte und seiner Art verschieden fühlt, werden wir nicht die gleichen Lösungen für alle finden.

Auch wenn wir regelmässig mit den Fertiglösungen, z.B. kämpferisch-linker Positionen, zu tun haben (die wissen oft, wie den Unterdrückten zu helfen ist), sind alt-moderne Reaktionsweisen 2) meistens nicht mehr befriedigend: Jede ArbeitnehmerInnensituation ist heute nicht einfach auf der Autoritäts- oder Abhängigkeitsebene abzuhandeln, neben gewerkschaftlicher Entwicklung gilt es auch die programmierte Arbeitslosen-Steigerung, verschiedene Bewusstseinsentwicklungen und politische Rückfälle mitzudenken. Die Auswege, zu Spass-Politik oder Privatisierung der Problematik, zu Ein-Punkt-Bewegung oder Karriere, führen immer wieder zurück zu den Fragen von Konkurrenz oder Solidarität und scheitern oft am Verlust des gesellschaftlichen Konsenses, an persönlichen Problematiken oder Kommunikationsschwächen.

Die Darstellung unserer Wahrnehmung in Theaterszenen führt uns erst bei geübter und genauer Arbeit zur sicheren Haltung gegenüber Verwirrung, Sprachlosigkeit und Indifferenz. In der ersten Erprobung kämpfen etliche Teilnehmende mit der Fülle der Eindrücke und Möglichkeiten, weil wir nicht geübt sind, selbst verschiedene Blickrichtungen einzunehmen und differenziert mit den jeweils verschiedenen Žusserungen anderer umzugehen.

Einerseits ermöglicht so die reale Theaterarbeit sehr intensive Begegnungen und einen tiefgehenden Austausch, sie fordert auf der anderen Seite auch die Fähigkeit selbst für Überblick, Einfühlung, Wechsel und Disziplin in der eigenen Reaktion zu sorgen: Bei vielen Teilnehmenden löst die intensive Arbeit eine breitere Palette von Gefühlen aus, als sie sonst gewöhnt sind. So wird aus gemeinsamer Theaterarbeit auch sehr oft ein persönlicher Aufbruch, eine Reaktion auf schon lange bedrängende Einengungen.

Der Aufbruch aus Kunstbereich, Vermarktung und autoritären Verhältnissen täte aber auch dem Theater insgesamt gut: Zwischen Staatstheatern, Selbstausbeutung und (un-)möglichen Karrieren, Namen- und Star-Rummel und der Sucht nach Berühmtheit ist heute keine vernünftige und verantwortbare Arbeit mehr zu machen: In zunehmend demokratischen Verhältnissen werden wir auseinandersetzungsfähiger sein müssen, als das in durchaus auch bequemen autoritären Beziehungen von allen gelernt und gefordert ist.

Theaterarbeit in der Werkstattform stellt sich natürlich auch gegen die HERR-schenden Kunstbegriffe, die vor allem auf autoritären Prinzipien (z.B.: Theater-Papst!) beruhen, aber kaum der Žsthetik der Allgemeinheit oder des einzelnen entsprechen. Das gleiche Phänomen ist am Kunstmarkt zu verfolgen: Manche Fälschungen wären teurer als Originale, die Kriterien sind nur in der Lust der einzelnen Person zu finden, werden aber im allgemeinen vom Geschmack und der Nachahmung anderer abgeleitet. Unser Geschmack kann sich aber an der Art des Betreffens orientieren: Das Nichts-Sagende wird nur durch künstliche Finanzierung und Gewohnheit oder Brauchtum zur Kunst erklärt. Nur das eigene Tun kann uns anleiten, stimmigen Geschmack und Gefühl wiederzufinden.

Für die Lehrenden bringt diese Arbeitsform das Wagnis neuer Rollen: Aus der autoritären Belehrung mit dem immer neuen Problem der Motivierung wird nun die qualifizierte Moderation: Die Anleitung von selbstorganisierten Lernprozessen erfordert einige andere Fähigkeiten, aber vor allem eine bewusste und reflektierte Pädagogik. Das gleiche gilt für den/die SpielleiterIn: Als Joker im Forum-Theater besteht die Aufgabe, eine Szene in verschiedenen Variationen zum Sprechen zu bringen und zusammen mit dem (mitspielenden) Publikum zu ergründen.

Wichtigste Lerngrundlage ist dazu (neben dem Mut zu neuen Erfahrungen in der Praxis) die kritische Reflexion im kollegialen Austausch, in der die eigenen Anteile und die möglichen Fehler aus der jeweiligen Situation besprochen werden können.

2. Die ,Neu-Heit' des Forschens

In unseren Schulen lernen wir im allgemeinen nicht ein Denken in Zusammenhängen, sondern gehäufte Stoff-Mengen in zerrissenen Fächern, nur im besten Falle (bei besonderer Fähigkeit einzelner, vielseitiger oder zusammenarbeitender Lehrkräfte) ein zusammenklingendes Gemisch verschiedener Wissensbereiche kennen. Wie in ,Trivial Persuit' entsteht eine Ansammlung verschiedenster Fachwissen, die aber nicht funktionalisiert werden können. So ist es am Ende kein Wunder, dass die Mehrzahl der scheinbar Angelernten mit lexikalischem Wissen sich anschliessend so ,anstellt', dass sie ,arbeitlos' bleibt: Aber was ist das eigentlich, arbeitslos?

Ist nicht das Trimmen auf Anstellungen der Fehler, den angestellte und verbeamtete Lehrende machen müssen? Natürlich regeln BAT und Handwerksordnung, berufsständische Organisationen und Gewerkschaften in ihrer Wirkung das Verhalten in unserer Gesellschaft - aber wer spricht endlich einmal offen aus, dass sie alle nicht am Los der Nicht-Privilegierten interessiert sind, weil sie Privilegien verteidigen?

Solche Gedanken entstehen nicht in diesen Institutionen, sondern eher gegen sie: Dazu brauchen wir im Kopf die Grenze als Lern-Ort. Auch die Ausgegrenzten sind in ihrer Situation meist nicht fähig zu reagieren, weil bei ihnen die Grenze schon gewirkt hat: Sie halten sich selbst für unbrauchbar, wert-los. Aus dieser Situation in ein Lern- und Forschungsprojekt zu kommen, ist aber eben sehr schwer zu organisieren. Ein denkbarer Bereich ist die Sozial-arbeit und Sozialpädagogik, dieser ist leider eher mit Helfersyndromen oder Ordnungskriterien befasst, als mit der Fähigkeit, eine andere Pädagogik zu starten, die die Beteiligten aufwertet.

In der Jugendarbeit werden schon seit längerem neue Wege gesucht. So konnte im bayerischen Jugendring über Jahre zuerst in Wochenendseminaren (als ,Aktionstheater' getarnt) die Methodik des ,Theaters der Unterdrückten' vermittelt werden, bis dann eine Fortbildungsreihe aus drei Einheiten unter dem Titel ,stop! tabu" zum Kennenlernen der einzelnen Schritte bis zur eigenen Anwendung und Bearbeitung einzelner Inhalte führte. In der Aufteilung von Elementen der eigenen Körperarbeit und der Anwendung mit Jugendlichen, von Themen der Teilnehmenden und Themen der Zielgruppe und der Unterscheidung der Erfahrungen in der Lern- und Anleiterrolle entstand über ein Jahr hinweg eine intensive Reflexion der eigenen Pädagogik und ihrer Auswirkung in der Berufspraxis.

Studierende der Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialwesen in Berlin entwickelten für ein viersemestriges Projekt, ,Theaterarbeit mit Randständigen', eine Reihe von Lehraufträgen und Lernsituationen, in denen sie sich mit den Möglichkeiten der theaterpädagogischen Arbeit in ihren angestrebten Berufsrichtungen auseinandersetzen.

Spannend wäre für mich eine fortlaufende Entwicklung und Anwendung solcher Reflexionsebenen in der Mischung verschiedener sozialer, pädagogischer und therapeutischer Berufe mit Theater- und anderen Kunstberufen.

Anmerkungen
1 S.a. Bericht zu ICOM-Co-operative Developement Agencys / Lets als Währung
2 Nach dem Moderne-Begriff der alten Fronten links/rechts, Sozialist/Kapitalist, _

Weiterführende Literatur

Zur Pädagogik der Unterdrückten:
Paulo Freire: Pädagogik der Unterdrückten. Hamburg 1973
Joachim Dabisch und Heinz Schulze: Befreiung und Menschlichkeit, Texte zu Paulo Freire. München 1991
Zeitschrift für befreiende Pädagogik der Paulo-Freire-Gesellschaft
Zum Theater der Unterdrückten:
Augusto Boal: Theater der Unterdrückten, Übungen und Spiele für Schauspieler und Nicht-Schau-spieler. Frankfurt 1979/1989
Bernd Ruping (Hrsg.): Gebraucht das Theater. Die Vorschläge von Augusto Boal: Erfahrungen, Varianten, Kritik. Bei: Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung, Küppelstein 34, 5630 Remscheid 1 (vergriffen)
Arbeitsstelle Weltbilder, Agentur für interkulturelle Pädagogik Münster und Schulstelle der AG Bern: Spiel-Räume, ein Werkbuch zum Boal'schen ,Theater der Unterdrückten'. Münster/Bern 1993 (Südstr. 71b, 48153 Münster, 0251-72009 oder Schulstelle, Monbijoustr. 31, CH-3001 Bern)
Zur Theaterpädagogik:
Gisela Honens (Freiburg) und Rita Willerding (Kassel): Praxisbuch feministische Theaterpädagogik. Frankfurt/M. 1992
Gerd Koch: Lernen mit Bert Brecht. Bertolt Brechts politisch-kulturelle Pädagogik. Hamburg 1979
Zeitschrift Korrespondenzen über Prof. Gerd Koch an der Alice-Salomon-FHS, Berlin
Weitere Texte zum Theater der Unterdrückten (beim Autor: Fritz Letsch, Theaterpädagoge, München): Szenen für die Szenen, (Theaterarbeit in der Aids-Prävention) - Mach mir eine Szene (Theaterarbeit in der Sexualpädagogik) - Die Wüste wächst _ (Bundeskonferenz kath. Studentengemeinden)

 

Freitag, November 27, 2020

die wichtigsten (und am Leichtesten zugänglichen) Entspannungs-Bereiche liegen am hintern unteren Schädel-Ende

 

Bewusstsein ist nicht nur das Gehirn:

Der Körper formt Ihr Selbstbewusstsein

https://www.newscientist.com/article/mg24632881-300-consciousness-isnt-just-the-brain-the-body-shapes-your-sense-of-self/

Elektrische Signale, die von Ihrem Herzen und anderen Organen kommen, beeinflussen, wie Sie die Welt wahrnehmen, welche Entscheidungen Sie treffen, wie Sie sich fühlen und wie Sie sich bewusst sind.

Der Artikel beschreibt, dass Angst bei traumatisierten auch im sicheren Umfeld bleibt: Nerven-Reaktionen

"Garfinkel war in Michigan, um die Schaltkreise des Gehirns zu untersuchen, die an anhaltender Angst beteiligt sind. Bei der Arbeit mit traumatisierten Veteranen erkannte sie zwei Dinge. Erstens half ihnen eine sichere Umgebung nicht, sich weniger ängstlich zu fühlen. Und zweitens war ihre Angst sowohl körperlich als auch geistig: Ihre Herzen rasten ständig, ihre Pupillen weiteten sich, ihre Handflächen schwitzten. "Es schien mir, dass das, was ihre Körper taten, bedeutungsvoll war, aber ich habe nur ihr Gehirn gescannt", sagt sie. Also machte sie sich daran, die Verbindung zwischen Körper und Geist zu verstehen .

.... "Unsere Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen werden teilweise durch die internen Signale geprägt, die von unserem Körper ausgehen", sagt sie. Aber es geht darüber hinaus. Es führt sie und andere zu einer überraschenden Schlussfolgerung: Der Körper hilft, unser Selbstbewusstsein zu erzeugen und ist ein Schlüsselelement des Bewusstseins. (Der restliche Artikel ist unter Bezahl-Schranke)

Aus den neueren Forschungen zum Vagus-Nerv ist das sehr logisch: Das Zusammenwirken sitzt nicht im Gehirn, sondern in den Nervenbahnen, die alle Organe mit versorgen, und die wichtigsten (und am Leichtesten zugänglichen) Entspannungs-Bereiche liegen am hintern unteren Schädel-Ende:

Dort können wir die Entspannung selbst herbei führen, auch Angst und Ärger mit herunter regulieren, für das eigene Wohlbefinden sorgen. Leg dich hin und massiere deine Schädel-Kante, dein Bauch wird es dir danken, er kommt auch in Entspannung, denn der VAGUS-Nerv führt bis dort hin.


 Die Quelle des Bildes fehlt mir gerade, bitte im Kommentar ergänzen!

Dienstag, November 17, 2020

Beitrag zum Wörterbuch der Theaterpädagogik: Unsichtbares Theater

fritz letsch theater gestalt pädagogik moderation

Beitrag zum Wörterbuch Theaterpädagogik: Unsichtbares Theater

Als Unsichtbares Theater bezeichnen wir eine gründlich vorbereitete Szene, die einem Publikum vorgestellt wird, das nicht von der Inszenierung weiß, aber auf die erzeugte Wirklichkeit reagieren kann.

1. Geschichte

In der Entstehung der Methoden des Theater der Unterdrückten im oft aussichtslos erscheinenden Kampf gegen die von den US /CIA eingerichteten südamerikanischen Militärdiktaturen kamen Theaterleute zwischen Zensur und Einschüchterung oft an ihre Grenzen. In den intensiven Studien der Methoden um Bert Brecht sind sie wohl auch auf die Geschichte der kommunistischen Theatergruppen in der Weimarer Republik gestossen, die in ihrer Verfolgung schon zu unsichtbaren Methoden politischer Arbeit gegriffen haben.

Vor allem in Situationen der Zensur, die sogar altgriechische Autoren betreffen konnten, wurde vielen damaligen Schauspiel-Ensembles klar, dass sie im Theater nur noch sehr begrenzte Botschaften vermitteln konnten, was dann auch noch dazu führte, dass sich verängstigte Menschen auch nicht mehr in diese kritischen Arenen wagten.

"Wenn das Publikum nicht mehr zu uns kommen kann, müssen wir zu ihm gehen," berichtet Augusto Boal, der das Unsichtbares Theater als ein wichtiges Glied in der Entwicklung der Methodenreihe des Theater der Unterdrückten sieht, zu denen nach Statuen-Theater und Forum-Theater nun zuletzt auch das Legislative Theater gehören.

2. Systematik

Unsichtbares Theater liegt im Spannungsfeld einer publikumswirksamen Inszenierung und einer vorgestellten Realität, die von Aussenstehenden nicht als Theater erkannt wird: Der Anspruch der Freire'schen Bewusstseinsbildung beim Publikum soll durch das Erlebnis einer Szene ausgelöst werden, die in einer Alltagssituation als allgemeiner Vorfall erlebt wird:

- das Gespräch mit dem Gemüsehändler über die steigenden Preise führt zu einer öffentlichen Diskussion über Regierungen und Bereicherungen ...

- im Foyer des Opernhauses kippt ein Mann ohnmächtig um, seine Begleitung thematisiert Hunger, Armut und für wen die Oper eigentlich da ist ...

- ein Gast in einem feinen Restaurant bittet, die Rechnung an die Regierung zu schicken, die versprochen hat, dass sich jeder satt essen darf, der Streit wird lautstark ...

In den heutigen Anwendungs-Situationen, in denen Unterdrückungsmechanismen meist sehr viel verdeckter ablaufen, brauchen wir auch tiefgehende Vorbereitungs-Schritte, um zu den wirklichen Themen, Tabus, Mythen und Mechanismen auf die Spur zu kommen.

3. Methodik

Wie die meisten Szenen-Entwicklungen im Methodenkanon des Theater der Unterdrückten beginnt die Arbeit immer mit dem Entwurf aus den generativen Themen der Teilnehmenden, die an einem eigenen Anliegen aus einem Beispiel tatsächlich erlebter Unterdrückung / Druck ansetzen soll, da konstruierte und theoretisch nachgespielte Situationen meist nicht genügend Kraft und Treffsicherheit bekommen.

Der Einstieg zu Bildern von Druck kann dabei leicht mit Statuen-Theater gestaltet werden, mit Proben-Techniken kommen wir zu Forum-Szenen, um (interne) Varianten der Veränderung zu entwickeln und im Thema Sicherheit zu gewinnen.

Für eine unsichtbare Inszenierung bereiten wir dann eine Situation vor, die Aufsehen oder Reaktionen erregt, aber auch die Rollen von Passanten, die beobachten oder eingreifen, nötigenfalls Provokationen einbringen.

Einer Aufführung wird sicher eine Ortsbesichtigung vorausgehen, am besten zu einer sicher entsprechenden Zeit, um die Verhaltensweisen des Publikums zu beobachten. Entsprechend sind Auflösungen der "schlimmsten Art" zu entwerfen, wie z.B. auf Interventionen von Polizei und Selbstverteidigern zu reagieren ist, um die Situation für alle Beteiligten sicher aufzulösen, bis zum Rückweg zum Auswertungstreffen, in dem nicht nur die verschiedenen Erlebnisse und der allgemeine Erfolg ausgetauscht werden sollten, sondern auch ein kritischer Vergleich mit einer offenen Forum-Szene angebracht wäre.

4. Kontroversen

Das Ziel einer Inszenierung eines Unsichtbaren Theaters wird oft nicht klar umrissen, ist aber für fundierte Arbeit wichtig: Soll es nur Spass machen, was bei vielen die Nähe oder Assoziation mit "Vorsicht Kamera" auslöst, "leute verarschen", oder wollen wir andere damit eine Lehre erteilen; geht es darum, eigene Grenzen zu erproben, oder tatsächlich die Tiefe eines Themas, der Tabus und der möglichen Veränderung auszuloten, oder soll ein Gegner blossgestellt werden, statt ihn als Ansprechpartner in den Dialog zu holen?

Unter den KollegInnen gibt es verschiedene Haltungen, ob eine Auflösung der unsichtbaren Inszenierung mit den Passanten erfolgen sollte: Ich kenne, vor allem aus Situationen, die innerhalb einer Gruppe inszeniert waren, sehr erzürnte Kontroversen, die zwischen betrogenen Gefühlen und ungläubigem Staunen wenig Austausch ermöglichten, und auch die Argumentationen von Theologen, dass diese Methode unzulässig sei ...

Boal argumentierte dagegen immer, dass wir eine Wirklichkeit, die ja auch wirklich so an anderem Ort existiert, zu Zwecken der Bearbeitung und Erforschung der eigenen Anteile und Reaktionen abbilden, also nicht beliebig erfinden.

Ähnlich argumentiert die soziologische Aktionsforschung, können auch Arbeiten an tabuisierten Themen begründet werden: Zu untersuchen, wie Menschen - oft entgegen ihrer geäusserten Meinung - tatsächlich reagieren. In der theaterpädagogischen Aus- und Fortbildung steht für mich das besondere Erleben im Vordergrund, in dem die Beteiligten den Unterschied ihrer Vorstellung vom Verlauf und von den Reaktionen der Passanten mit der Situation ihrer eigenen Rolle und Spielsicherheit in Zusammenhang bringen: Die Verschiedenartigkeit der Wahrnehmung, aber auch die Situation, dass es gar nicht möglich ist, aus einer unsichtbaren Rolle zu fallen, ohne sich in verwirrende Widersprüche zu verwickeln ... ein Vorgriff und Beispiel zur Theorie von Dekonstruktion und Konstruktion unserer Wirklichkeiten, Identitäten, Wahrnehmungen.

5. Literatur

Ausführliches zum Theater der Unterdrückten auf http://www.joker-netz.de

http://wiki.eineweltnetz.org

Augusto Boal: - Theater der Unterdrückten, Übungen und Spiele für Schauspieler und Nicht-Schauspieler SUHRKAMP-TB NF 361, Frankfurt 1989 (entspricht nicht der ausführlicheren portugiesischen und der englisch-sprachigen Ausgabe!)

- Der Regenbogen der Wünsche, Methoden aus Theater und Therapie, Kallmeyer 1999

- legislative theatre, using performance to make politics Routlegde London/New York 1998

Autonome A.F.R.I.K.A-Gruppe: Handbuch der Kommunikationsguerilla, Hamburg / Göttingen 1997

Fritz Letsch: Theater macht Politik, Die Methoden des Theater der Unterdrückten in der Bildungsarbeit, Gautinger Protokolle im Institut für Jugendarbeit des BJR, 

Helmut Wiegand: (Dissertation) Die Entwicklung des Theaters der Unterdrückten seit Beginn der achziger Jahre ibidem-Verlag Stuttgart

Fritz Letsch und Wolfgang Fänderl: Videofilm: "Theater, wie im richtigen Leben!" interkulturelles schul - theaterprojekt "miteinander reden lernen", Verleih und Bezug über das Inkomm, INKOMM Projektzentrum interkulturelle Kommunikation, Rupprechtstr. 25-27, 80636 München, tel. 089-121643-06,fax 089-121643-07 Euro 20 für Einrichtungen (mit Aufführungsrecht) und Euro 12,50 privat.

Bernd Ruping (Hrsg.): "Gebraucht das Theater, Die Vorschläge von Augusto Boal: Erfahrungen, Varianten, Kritik" bei: Theaterpädagogisches Zentrum, Lingen, Remscheid, 1991 (vergriffen)

Zeitschrift für befreiende Pädagogik der Paulo-Freire-Gesellschaft, Nr. 25/26: Szenen verändern, Joker aus Rio unterwegs; Heft 10: Es braucht Mut, glücklich zu sein: Anwendungen des Theater der Unterdrückten in versch. Ländern, (vergriffen, im Internet unter http://www.fritz.letsch.bei.t-online.de/vernderu.htm);

weitere Hinweise auf den Internet-Seiten www.joker-netz.de © Fritz Letsch 2002

Inzwischen gibt es noch ein Buch "Unsichtbares Theater" von Thorau, Henry

Unsichtbares Theater 2013  224 Seiten. Fadenheftung. Broschur ISBN 978-3-89581-276-7 für 19,90 € alexander-verlag.com/programm/titel/297-unsichtbares-theater.html

 

fritz letsch, theater gestalt pädagogik moderation

im KollegEnkreis entwicklungsdienst theater - methoden in der Paulo-Freire-Gesellschaft eV

und im ModeratorInnenkreis der Zukunftsbibliothek der Robert-Jungk-Stiftung Salzburg

Ausbildungsgruppe F2000 im Arbeitskreis Kritische Gestalttherapie - Gestaltleben –

lehrbeauftragter an der fachhochschule münchen, fachbereich 11 sozialwesen

Münchner Kommunikationsverein, Föss e.V. Selbsthilfezentrum München


zuerst weiß niemand etwas.

die schauspieler wissen nicht viel, 

aber der, der sie unterrichtet, darf gar nichts wissen, 

und muß erst während des unterrichts alles lernen 

über sich und seine kunst. 

das wird für sie eine entdeckung sein, 

und auch für ihn.          jean genet briefe an roger blin


Dienstag, August 25, 2020

Emotion und Gestalt

... wie Heilerziehungspfleger Klienten mit mittelgradiger Intelligenzminderung unterstützen können, sich einerseits mit ihrer gesamten Vielfalt an Gefühlen selbst anzunehmen und andererseits die Fähigkeit zu entwickeln, ihr Verhalten so zu steuern, dass sie mit ihrem sozialen Umfeld in einen befriedigenden Austausch treten können.

Ich möchte zeigen, dass die Basis zur Förderung der Emotionsregulation eine dialogische Haltung ist, die mit dem Bemühen des Heilerziehungspflegers um eine empathische Beziehung zu seinem Klienten einhergeht.

Anhand einer Fördereinheit mit Emotionskarten möchte ich veranschaulichen, wie die theoretischen Grundlagen in der Praxis methodisch umsetzbar sind.

Die dialogische Haltung ist kennzeichnend für eine bedeutende Richtung der Gestalttherapie (Ostküstenstil) und beinhaltet, jede Person als selbständiges Wesen zu behandeln und nicht als Mittel zum Zweck.

Die Gestalttherapie ist eine der beiden Hauptvertreterinnen der humanistischen Psychotherapie. Die Gestaltpädagogik, die sich ab den 1970er Jahren entwickelte, bezieht ihre Handlungskonzepte, Grundannahmen und Begriffe aus der Gestalttherapie.

Da das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und somit auch die Sozialgesetzgebung, auf humanistischen Werten aufbaut, sollte humanistischen Konzepten im Umgang mit behinderten Menschen in Deutschland meiner Ansicht nach einen noch höheren Stellenwert eingeräumt werden, als dies in der Praxis meiner Erfahrung nach im Moment noch der Fall ist.

Eine meiner Bestrebungen ist es, mich damit auseinander zu setzen, ob und wie der Gestalt-Ansatz in der Heilerziehungspflege realisiert werden kann.

Förderung der Gefühlsregulation von Menschen mit mittelgradiger Intelligenzminderung anhand der Arbeit mit Emotionskarten

Akademische Arbeit, 2020, 38 Seiten,

dort auch

Astrid Niehues (Autor), 2010, Sexualität und geistige Behinderung? Selbstbestimmung und sexualpädagogische Intervention im Wohnheim, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/320259

Unsichtbares Theater

www.archiv-datp.de/worterbuch-unsichtbares-theater überarbeiten:

Unsichtbares Theater

→ Inszenierung und eine vorgestellte Realität, die von Außenstehenden nicht als Theater erkannt wird: 

Thorau, Henry Unsichtbares Theater 2013

Der Anspruch der Freireschen Bewusstseinsbildung beim Publikum soll durch das Erlebnis einer Szene ausgelöst werden, die in einer Alltagssituation als allgemeiner Vorfall erlebt wird: 

Das Gespräch mit dem Gemüsehändler über die steigenden Preise führt zu einer öffentlichen Diskussion über Regierungen und Bereicherungen; 

im Foyer des Opernhauses kippt ein Mann ohnmächtig um, seine Begleitung thematisiert Hunger, Armut und für wen die Oper eigentlich da ist; 

ein Gast in einem feinen Restaurant bittet, die Rechnung an die Regierung zu schicken, die versprochen hat, dass sich jeder satt essen darf, der Streit wird lautstark.

Als Unsichtbares Theater bezeichnen wir eine gründlich vorbereitete Szene, die einem Publikum vorgestellt wird, das nichts von der Inszenierung weiß, aber auf die erzeugte Wirklichkeit reagieren kann.

In der Entstehung der politisch eingreifenden Methoden des → Theaters der Unterdrückten (TdU) im oft aussichtslos erscheinenden Kampf gegen die von den US/CIA (vgl. Hitchens) eingerichteten südamerikanischen Militärdiktaturen kamen Theaterleute zwischen Zensur und Einschüchterung oft an ihre Grenzen. 

In den intensiven Studien der Methoden um Brecht sind sie wohl auch auf  die Geschichten der kommunistischen Theatergruppen in der Weimarer Republik gestoßen, die in ihrer Verfolgung schon zu unsichtbaren Methoden politischer Arbeit gegriffen haben.

Vor allem in Situationen der Zensur, die sogar antike griechische Autoren betreffen konnten, wurde vielen damaligen Schauspiel-Ensembles deutlich, dass sie im Theater nur noch sehr begrenzte Botschaften vermitteln konnten, was dann zudem noch dazu führte, dass sich verängstigte Menschen nicht mehr in diese kritischen Arenen wagten.

„Wenn das Publikum nicht mehr zu uns kommen kann, müssen wir zu ihm gehen“, schlussfolgert Augusto → Boal  (alle  nicht  nachgewiesenen  Boal-Zitate  sind Äußerungen Boals in Seminaren seit 1981, notiert v. Verf.), der das UT als ein wichtiges Glied in der Entwicklung der Methodenreihe des TdU sieht, zu denen nach → Statuentheater und → Forumtheater nun zuletzt auch das → Legislative Theater gehören.

In den heutigen Anwendungssituationen, in denen Unterdrückungsmechanismen meist sehr viel verdeckter ablaufen, brauchen wir auch tiefgehende Vorbereitungsschritte, um den wirklichen Themen, Tabus, Mythen und Mechanismen auf die Spur zu  kommen.

Wie die meisten Szenen-Entwicklungen im Methodenkanon des TdU beginnt die Arbeit immer mit dem Entwurf aus den generativen Themen der Teilnehmenden, die an einem eigenen Anliegen aus einem Beispiel tatsächlich erlebter Unterdrückung/Druck ansetzen soll, da konstruierte und theoretisch nachgespielte Situationen meist nicht genügend Kraft und Treffsicherheit bekommen.

Der theaterpädagogische Einstieg kann leicht mit Boals Statuentheater gestaltet werden, mit solchen Proben-Techniken wird zu Forum-Szenen gekommen, um (interne) Varianten der Veränderung zu entwickeln und im Thema Sicherheit zu gewinnen. 

Für eine unsichtbare Inszenierung wird dann eine Situation vorbereitet, die Aufsehen oder Reaktionen erregt, aber auch die Rollen von Passanten, die beobachten oder eingreifen, nötigenfalls Provokationen einbringen, werden geübt. 

Einer Aufführung muss eine Ortsbesichtigung vorausgehen, am besten zu einer der Aufführung/,Inszenierung‘ entsprechenden Zeit, um die Verhaltensweisen des Publikums zu beobachten. Eventualitäten der ,schlimmsten Art‘ sind zu entwerfen, wie z. B. auf Interventionen von Polizei und Selbstverteidigern zu reagieren ist, um die Situation für alle Beteiligten gesichert aufzulösen, 

bis zum Rückweg zum Auswertungstreffen, in dem nicht nur die verschiedenen Erlebnisse und der allgemeine Erfolg ausgetauscht werden sollten, sondern auch ein kritischer Vergleich mit einer offenen Forum-Szene angebracht ist.

Das Ziel einer Inszenierung eines Unichtbaren Theaters wird oft nicht klar umrissen, ist aber für fundierte Arbeit wichtig: Soll es nur → Spaß machen, was bei vielen die Nähe oder Assoziation mit ,Vorsicht Kamera‘ (,Leute verarschen‘), auslöst, soll anderen damit eine Lehre erteilt werden oder geht es um einen Impuls zur Entwicklung von Eigenkraft/Autonomie? 

Geht es darum, eigene Grenzen zu erproben, tatsächlich die Tiefe eines Themas, der Tabus und der möglichen Veränderung auszuloten oder soll ein Gegner bloßgestellt werden, statt ihn als Ansprechpartner in den → Dialog zu holen?

Unter den KollegInnen gibt es verschiedene Haltungen, ob eine Auflösung der unsichtbaren Inszenierung mit den Passanten erfolgen sollte. Ich kenne, vor allem aus Situationen, die innerhalb einer → Gruppe inszeniert waren, sehr erzürnte Kontroversen, die zwischen betrogenen Gefühlen und ungläubigem Staunen wenig Austausch ermöglichten, und auch die Argumentationen von Theologen, etwa dass diese Methode unzulässig sei. 

Boal argumentiert dagegen, dass wir eine Wirklichkeit, die ja auch wirklich so an anderem Ort existiert, zu Zwecken der Bearbeitung und Erforschung der eigenen Anteile und Reaktionen abbilden, also nicht beliebig erfinden. 

Ähnlich argumentiert die soziologische Aktionsforschung, können auch Arbeiten an tabuisierten Themen begründet werden: zu untersuchen, wie Menschen – oft entgegen ihrer geäußerten Meinung – tatsächlich reagieren.

In der theaterpädagogischen Aus- und Fortbildung steht das besondere Erleben im Vordergrund, in dem die Beteiligten den Unterschied ihrer Vorstellung vom Verlauf und von den Reaktionen der Passanten mit der Situation ihrer eigenen Rolle und Spielsicherheit in Zusammenhang bringen: 

die Verschiedenartigkeit der Wahrnehmung, aber auch die Situation, dass es gar nicht möglich ist, aus einer unsichtbaren Rolle zu fallen, ohne sich in verwirrende Widersprüche zu verwickeln – ein Vorgriff und Beispiel zur Theorie von Dekonstruktion und Konstruktion unserer Wirklichkeiten, Identitäten, Wahrnehmungen.

Autonome A.F.R.I.K.A-Gruppe (Hg.): Handbuch der Kommunikationsguerilla. Hamburg, Göttingen 1997; 

Boal, Augusto: Theater der Unterdrückten. Übungen und Spiele für Schauspieler und Nicht-Schauspieler. Frankfurt a. M. 1989; 

Ders.: Legislative theatre, using performance to make politics Routlegde. London, New York 1998; 

Ders.: Der Regenbogen der Wünsche. Methoden aus Theater und Therapie. Seelze 1999; 

Hitchens, Christopher: Die Akte Henry Kissinger. In: Lettre International, 2001, H. 53; 

Letsch, Fritz: Theater macht Politik. Die Methoden des Theater der Unterdrückten in der Bildungsarbeit. Gautinger Protokolle im Institut für Jugendarbeit des BJR, Germeringerstr. 30, 82131 Gauting; 

Ruping, Bernd (Hg.): Gebraucht das Theater. Die Vorschläge von Augusto Boal – Erfahrungen, Varianten, Kritik. Lingen, Remscheid 1991; 

Wiegand, Helmut: Die Entwicklung des Theaters der Unterdrückten seit Beginn der achtziger Jahre. Stuttgart 1999. 

http://de.groups.yahoo.com/group/unsichtbaresTheater

www.institutgauting.de www.joker-netz.de

www.archiv-datp.de/worterbuch-unsichtbares-theater

 

Unsichtbares Theater findet im öffentlichen Raum statt vor Zuschauern, die nicht wissen, daß sie Zuschauer sind.

Der Name des Brasilianers Augusto Boal (1931–2009), Begründer des Theaters der Unterdrückten, ist unmittelbar mit diesem subversiven Instrument politischer Aufklärung verbunden.

Das Buch schildert die Geschichte und Entwicklung des Unsichtbaren Theaters, stellt das von Augusto Boal entworfene theoretische Konzept vor und behandelt die Weiterentwicklung und Anwendung in neuester Zeit.

Der Praxisteil bietet eine Anleitung zur Inszenierung von Unsichtbarem Theater und dokumentiert Beispiele »unsichtbarer« Theateraktionen im öffentlichen Raum.

»Unterdrückung gibt es nicht nur in Diktaturstaaten – Unsichtbares Theater kann sie entlarven helfen.« Augusto Boal