Montag, Januar 09, 2023

Volkacher Kirchberg 1991

 als ich in der Küche nach einem Weißwein suchte, fand ich einen Volkacher Kirchberg Bacchus Bocksbeutel von 1991, in hervorragender Verfassung, und mit traumhafter Geschichte:

Ich hatte einen Theaterworkshop dort mit evangelischer Jugend, und zum Thema Unterdrückung und Tabu spielten zwei Jungs von etwa 17 Jahren ihre Situation als schwules Paar, und mit fielen damals am Land noch beinah die Augen aus, aber die Gruppe hatte die Geschichte sehr gut verarbeitet und verstanden ... nach gut 30 Jahren ein hervorragender Tropfen!

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Auf euch beide, Rüdi wär jetzt 61 ...

wir meinen, haben gelernt, uns kontrollieren zu müssen. Wer dich liebt, wird dich mit deinen Macken ertragen, weiß sie wahrscheinlich längst, und akzeptiert dich damit:

Eine der Überraschungen bei manchem, was wir heute „coming out“ nennen: „Aus dem Einbauschrank kommen“, den unsere bürgerliche Erziehung uns für das Innenleben bereit gestellt hat, ob für sexuelle Orientierungen oder für psychische Besonderheiten, für körperliche Krankheiten oder berufliches und oft finanzielles Versagen:

Die Anderen wussten längst davon, oder ahnten es zumindest!

queer zu sein, erscheint heute vielen jungen Leuten kein Problem, aber es ist noch nicht in allen Berufen, Betrieben, Branchen und Einrichtungen so weit: Kennst du eine lesbische Lehrerin, einen schwulen Lehrer? Was würden deine Eltern sagen, wenn eine Lehrkraft offen bisexuell auftritt?

Bundeswehr und Polizei lernten allmählich, damit umzugehen, aber Kultusministerium und Schulleitung?

Montag, September 12, 2022

"Szenisches Verhandeln" von Uta Atzpodien

Forumtheater war den staatlich und städtisch finanzierten Theatern immer fremd geblieben, weil sie nur an einen fertigen künstlerischen Autoren-Text oder ihre geprobte Performance glauben.

Forumtheater folgte dem Traum von Bert Brecht, mit dem Publikum in Dialog zu kommen. Was er auch für das Radio erhoffte, ist den weit agileren Südamerikanern vorbehalten geblieben, wenn sie, wie Paulo Freire in der Pädagogik der Unterdrückten, und Augusto Boal im Theater der Unterdrückten, den Dialog auf Augenhöhe erzeugten.

Verhandeln geht nur mit gleicher Höhe: Wie Aikido, argentinischer Tango und die Dämonen-Begegnung in der Heldenreise in Seminaren der Gestalttherapie: Es braucht eine Aus-Ein-Ander-Setzung, die den anderen Part ernst nimmt, nicht auslöschen will, sondern annehmen kann. 

 

„Mit Hilfe des Theaters soll dem Menschen ein Werkzeug an die Hand gegeben werden, Verständnis und Lösungen für soziale und persönliche Probleme zu entwickeln. Augusto Boal: Der Regenbogen der Wünsche (…)

Seine im Laufe der Jahre entwickelten Methoden des Zeitungstheaters, Unsichtbaren Theaters, Forumtheaters und jüngst des Legislativen Theater … " S.87 in:

 

Bewusstmachen und Handeln:
Augusto Boal 


Aus dem Buch "Szenisches Verhandeln"
von Uta Atzpodien 

https://doi.org/10.1515/9783839403389-004 

"Theater kann zu einem äußerst dynamischen Ort kreativen Verhandelns kultureller und gesellschaftlicher Fragen werden. Das zeigt diese wissenschaftliche Reise durch das zeitgenössische Theater Brasiliens und insbesondere durch die Theaterszene in Sao Paulo. 

Dieser Band begegnet dem brasilianischen Theater des 20. Jahrhunderts und vor allem Theatergruppen und -machern seit den 90er Jahren in ihrem geschichtlichen und soziokulturellen Kontext. 

Im Dialog mit postkolonialen und lateinamerikanischen Kulturtheorien werden der Blick und das Verständnis für die im deutschen Sprachraum bisher kaum erforschte Theaterpraxis in Brasilien erweitert. 

Lange Brasilienaufenthalte und enge Kontakte zur Theaterszene ermöglichen der Außenperspektive der Autorin tiefer gehende Einblicke. Diese machen auch die wissenschaftliche Praxis zu einem kulturellen Verhandeln. 

Nicht die Dramatik steht im Zentrum - wie häufig in der hiesigen Beschäftigung mit dem Theater Lateinamerikas -, sondern das Theater als Inszenierung und vergängliches Ereignis in einem konkreten soziokulturellen Kontext. Es geht um ein Theater, das bewusst kollektiv orientiert ist, den Arbeitsprozess betont und gezielt nach grenzüberschreitenden Räumen sucht.

Uta Atzpodien (Dr. phil.), geb. 1968, ist freie Dramaturgin und Autorin. Sie studierte Theaterwissenschaft, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Politikwissenschaft und Hispanistik in Mainz, Valencia und Bogotá. Seit 1995 ist sie Mitarbeiterin des Festival Internacional de Londrina (FILO) in Brasilien und hat seit Anfang der 90er Jahre bei Theaterprojekten u.a. in Brasilien, Chile und Kolumbien mitgewirkt."

degruyter.com/document/doi/10.1515/9783839403389/html

Sonntag, August 14, 2022

zoom-Gestalt-Quarterly am 4.9.22 zum Thema ANGST

 

Angst


Gestalt und der Umgang mit Angst


Einladung zum dritten QUARTERLY 2022, dem vierteljährlichen Treffen von Gestalt-Freunden, und solchen, die es vielleicht werden wollen:

Am Sonntagabend dem 4. September 2022 von 17:30 Uhr bis 20 Uhr

wollen wir uns mit Euch gemeinsam an das Thema Angst wagen.


Wir alle kennen Angst und begegnen ihr doch selten freiwillig. Sie erreicht uns über die Medien, deren Themen oft bedrohlich wirken: Katastrophen, Umweltzerstörung, Krieg in der Ukraine, Coronavirus, Energiekrise, Inflation, … 

Diese Themen stehen einerseits für Realitäten, die Handlung erfordern. Sie scheinen sich aber auch dann gut zu verkaufen, wenn sie uns keine direkte Handlungsoption bieten.

Aber auch im Alltag ist Angst vielen Menschen ein dauerhafter Begleiter, der sie in ihrem Denken und Handeln einschränkt und sie belastet. Anderen begegnet Angst ganz plötzlich, „wie aus heiterem Himmel“ – im Angesicht von Gewalt, Krankheit und Verlust.

Angst zeigt sich auf vielfältige Weise. Genauso vielfältig wie die Bedeutung, die wir ihr geben sind auch unsere Möglichkeiten, darauf zu antworten, um uns zu stabilisieren und handlungsfähig zu bleiben oder wieder zu werden.

Wir freuen uns sehr, dass wir Anna-Katharina Kreyer 
https://psychotherapie-kreyer-bonn.de
für einen Impulsvortrag gewinnen konnten. Anschließend gibt es Raum für Austausch zum Thema Angst, im persönlichen, gesellschaftlichen und therapeutisch -beraterischen Kontext.

Das Quarterly soll auch die Vernetzung der Gestalt Community unterstützen. Wer also Unterstützer*innen für eigene Anliegen sucht, findet hier wieder eine Möglichkeit der Kontakt-Aufnahme.

Die Teilnahme am Quarterly ist wie immer kostenlos. Gerne könnt ihr diese Einladung an Kolleg*innen und Interessent*innen weiterleiten, damit der "Gestaltkreis" auch öffentlich wächst.

Euer Vorbereitungsteam:

Fritz, Isabel, Katharina, Margit, Martin, Nicola, Sabine und Frank


Anmeldung:

Damit wir abschätzen können wer alles teilnimmt, meldet euch bitte über unsere Homepage an: https://gestaltquarterly.wixsite.com/gestalt-quarterly

Samstag, September 25, 2021

Verwandtschaft von Gestalt und Forumtheater: in: Theater im Dialog: heiter, aufmüpfig und demokratisch Deutsche und europäische Anwendungen des Theaters der Unterdrückten

 Die Verwandtschaft von Gestalt und Forum-Theater

Einleitung meines Artikels in 

Theater im Dialog: heiter, aufmüpfig und demokratisch
Deutsche und europäische Anwendungen des Theaters der Unterdrückten





















Theater der Unterdrückten
und die Gestalt-Therapie

Die Menge der Schnittstellen ist viel zu groß, um dieses Thema erschöpfend zu skizzieren, doch möchte ich vor allem für jene, denen die Grundlinien der Gestalttherapie nicht bekannt sind, eine knappe Einführung zusammenstellen, umgekehrt könnte für Gestalt-Arbeitende eine Anregung zur Auseinandersetzung mit den Forum-Theater-Methoden daraus erwachsen, und vielleicht wird manchen deutlich, dass bereits Gestalt- Prinzipien in Ihre Arbeitsstile eingeflossen sind.

1. Dialog geht nicht von oben nach unten

1.1. seit den siebziger Jahren ...

Theater lebt in der klassischen Form von der Trennung in Bühne als magischen Raum und Publikum. Was oberhalb der Rampe passiert, ist vorbereitet, heiliges Ritual, dramatischer Bogen, darf nicht gestört werden. Das von oben Kommende ist heilig, das Publikum unten darf klatschen.

Bert Brecht versuchte, die emanzipatorischen Impulse seiner Zeit aufzugreifen und suchte nach Wegen, von dieser klassischen Form zu neuen, dialogischen Formen zu kommen.

Bekannt wurde vor allem das Verfremden, nicht gläubige Inszenierungen auf die Bühne zu bringen, sondern brüchige, in der Struktur und Machart durchsichtige Stücke, die zur Auseinandersetzung anregen sollten.

Jahre später führten andere seine Versuche fort:
Die fast schon verzweifelt wirkenden Kontaktversuche des action-theater bei FASSBINDER und seiner Gruppe, die vor allem in Handke's Publikumsbeschimpfung das Publikum in den Stücken zu Reaktionen bringen sollten, achteten in ihrem jugendlichen Sendungsbewusstsein nicht so sehr auf das Macht-Gefälle, das über die Rampe kommt: Wer oben steht, hat Vorteile ...

1.2. in meiner Geschichte:

Entsprechend lernte ich selbst in der Schauspielschule Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre noch die Rollen in autoritär geprägter Kunstform.

Groß war dann meine Überraschung, als AUGUSTO BOAL in einer Aufführung in der münchner Alabamahalle die Übungen, wie wir sie aus dem Gruppentraining kannten, auch zum Aufwärmen mit dem Publikum machte und Szenen vorstellte, die wir verändern sollten, indem wir dazu auf die Bühne kommen und die Rolle der unterdrückten Person anders zu Ende spielen sollten.

Das machten auch einige, und es war ein spannender Abend, nach dem sich viele für den nächsten Wochenend-Workshop eintrugen. Damit begann dann auch meine Lehrzeit mit dem Theater der Unterdrückten, die über einige Jahre vor allem am Theaterhaus Berlin weiterging.

Parallel lernte ich in der politischen Arbeit in der Friedensbewegung

auch die Gestalt-Therapie und das Gestalt-Leben als Grundhaltung im Hier und Jetzt kennen,
die Freire-Pädagogik war mir schon aus der Dritte-Welt-Bewegung im Studium vertraut geworden, im Arbeitskreis Bewusstseinsbildung der AG SPAK lernte ich dann die genaueren Prinzipien dieses emanzipatorischen Ansatzes, der die Lernenden in ihrem forschenden Bewusstseins-Prozess begleitet, nicht mit "Stoff" und "Wahrheiten" entmündigt.

2. Verschiedene Wurzeln -
Gemeinsames Menschenbild

Im Umfeld sind auch noch andere Methoden inspirierend:
Das Arme Theater des Jerzy Grotowski entkleidet das in den Requisiten und Soffiten verstaubte Ritual und holt es in den puren körperlichen Ausdruck zurück. Das Living Theater zieht mit experimentellen Projekten (wie noch einige andere Theater) durch die Welt und bringt politische Themen auf die Bühnen.

2.1. Aufbruchs-Bewegungen
nehmen Gestalt und Forum-Theater

Die zeitliche Entwicklung der beiden Arbeitsweisen liegt parallel in den sechziger bis achziger Jahren, und die Verwandtschaften liegen nicht nur bei den beiden Gründervätern:
Fritz Perls hatte im Max-Reinhardt-Seminar das Theater kennengelernt, Augusto Boal war über die Jahre immer mit den Fragen nach den Unterschieden zum Psychodrama konfrontiert.

Im Kampf gegen die anachronistischen Militärdiktaturen,
die zum großen Teil durch die CIA in den lateinamerikanischen Ländern "inszeniert" wurden,
setzten die Gruppen mit großem Lerneifer alle Methoden ein, die ihnen aus der "freien Welt" als hilfreich und politisch aufgeschlossen unterkamen.

Alle, die nach Methoden suchten, die nicht durch enge linke und gewalt-orientierte Agitation eingeschränkt waren, tauschten in dieser Zeit international Ideen und Arbeitsweisen aus:
Befreiungstheologie und Entwicklungshilfe er-gänzten sich zu neuen Methoden der Erwachsenenbildung.

3. Das Wort Gestalt

ist in der englischen Sprache ein Fremdwort, es wird im deutschen Sprachraum leider oft mit Gestaltung assoziiert. Offene Gestalt meint aber ein Geschehen, das noch nicht abgeschlossen ist: Wenn ich durch ein Geschehen wie z.B. einen Unfall auf herannahende Autos erschreckt reagiere, habe ich diesen Unfall noch nicht wirklich verarbeitet, ist das Thema offen. 

Kann ich mich nach einiger Zeit und Gewöhnung wieder bedenkenlos im Strassen-verkehr bewegen, habe ich die Gestalt wieder geschlossen. Bin ich nicht be-reit, mich wieder auf Strassenverkehr einzulassen, brauche ich Begleitung oder bleibe ich in meiner Traumatisierung gefangen. Der Begriff entstammt der Gestalt-Psychologie der 20er Jahre.

3.1. erste Gestalt-Arbeiten in den USA und Kanada in den 1960ern:

Mit den Trainings in gewaltfreier Aktion der Anti-Atom- und der Friedensbewegung
kamen in den siebziger Jahren über einige nordamerikanische Trainer auch die Ansätze der Gestalttherapie im sozialen Gruppenlernen nach Deutschland, die dann mit unseren Seminaren Einzug in den Gruppen der alternativen Szene hielten.

Grundlage ist dafür wiederum das dialogische Prinzip und der Kontakt, die Laura und Fritz Perls und Paul Goodman auf der Grundlage von Martin Buber's "Ich und Du" und seinem existentialistischen Ansatz in die psychotherapeutische Arbeit einbrachten.

Diese Arbeit fand in den politischen nordamerikanischen Szenen vor allem in Gruppen statt
und hatte in den Hippie-Bewegungen grosse Resonanz bis in die Untergrund-Literatur und -Philosophie hinein.
Weiter lesen in:


Montag, August 02, 2021

Kurzportrait Paulo Freire und die Ansiedlung seiner Ideen hierzulande

und eine aktuelle Zusammenstellung aus twitter: 

https://100-jahre-paulo-freire.blogspot.com

Die Ideen Paulo Freire's

wurden außer durch entwicklungspolitisch-kirchliche Kreise auch in einigen
europäischen Ländern von der Europäischen Arbeitsgruppe
Bewusstseinsbildung verbreitet, die sieben Mitgliedsgruppen umfasste:  

  • den Arbeitskreis Freire in der AG SPAK München, 
  • Centro di Animazione per 'l Autogestione Populare (Palermo / Italien),
  • Friedensuniversität Namur (Belgien), 
  • die Jugendakademie Walberberg (Bornheim- Köln) 
  • Institut Oecuménique pour le Dévelopement des Peuples (Paris), 
  • Mouvement d' Animation de Base / International Ontmoetingscentrum (Hasselt / Belgien) 
  • und die Escuela Professionale Emigrati / Berufsschule der Emigrierten (Zürich).  
Aus diesem Dachverband ist Anfang der neunziger Jahre in Deutschland und Belgien die Paulo Freire Gesellschaft mit Sitz in München entstanden, die sich der Aufgabe stellte, die theoretischen Grundlagen der Freire-Pädagogik in der Praxis zu erforschen und die Praktiker mit den Forschern in Verbindung zu bringen.

Zahlreiche Fachtagungen und die zeitschrift für befreiende pädagogik
verarbeiteten und verbreiteten die Reflexionen der Kolleg*innen aus der Praxis. Die jetzige Paulo-Freire-Gesellschaft in Berlin pflegt den Austausch und die Partnerschaften aus der Arbeit von
Ilse Schimpf-Herken mit Lehrenden in Chile und anderen mittelamerikanischen Ländern:
Begegnung verändert Gesellschaft

Vor allem in Latein- und Mittelamerika hat Paulo Freire grundlegende
Veränderungen in der Erwachsenenbildung bewirkt, aber auch im französisch-sprachigen Afrika bildet sein Ansatz die Grundlage der bildungspolitischen Basisarbeit. 

Freire selbst hat längere Zeit in den ehemaligen portugiesischen
Kolonien (Angola, Mozambik, Sao Tome und Principe) gearbeitet und dort einen entscheidenden Einfluss auf das Bildungssystem ausgeübt. Heute werden die anthropologischen und pädagogischen Prinzipien der Freire-Pädagogik in Schwarzafrika in zahllosen Bildungsorganisationen angewandt. 

Das vorletzte Heft unserer Zeitschrift für befreiende Pädagogik war diesen Projekten gewidmet. 

Kurzporträt Paulo Freire

Geboren am 19.9.1921 in Recife im Nordosten Brasiliens. Als Paulo Freire 13 Jahre alt war, starb der Vater und für eine ganze Reihe von Jahren regierte der Hunger in Paulo Freires Leben. 

Mit großer Anstrengung gelang es ihm, ein Jurastudium zu absolvieren. 1944 Heirat mit Elza Maria Oliviera, einer Grundschullehrerin und 1946
Arbeit als Lehrer für portugiesische Sprache in der Abteilung für Erziehung und Kultur im Sozialdienst der Industrie, später dort als Direktor für den Bundesstaat Pernambuco bis 1956, Unstimmigkeiten bezüglich seiner demokratischen Arbeitsmethode.

1961 startete eine von Freire konzipierte Alphabetisierungskampagne in Brasilien auf nationaler Basis. Der damalige Präsident Goulart ordnete an, dass mit Freire's Methode in "20.000 Kulturzirkeln" 2 Millionen Erwachsene alphabetisiert werden sollten, als Grundlage für das Wahlrecht. 

1964 Staatsstreich durch die Militärs, Freire kam 75 Tage ins Gefängnis und dann ins Exil, u.a. 4 Jahre in Chile (Agrarministerium, Fortbildung für landlose Bauern) und ein Jahr an der Universität in Harvard (USA) als Gastprofessor.

1971 übernahm er beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf die Stelle als Berater für Bildungsfragen in den "Entwicklungsländern". In dieser Zeit war er in vielen Ländern (spez. in Sao Tomé und Principe, Mosambik, Angola, Nicaragua) tätig. 

1980 nach der Demokratisierung in Brasilien Rückkehr aus dem Exil. Mitarbeit im Rahmen der Erzdiözese Sao Paulo (Kardinal Arns), an der Katholischen Universität (PUC), sowie ab 1989 als Stadtrat für Erziehungsangelegenheiten in Sao Paulo. 

1991 trat Freire von diesem Posten zurück, um wieder mehr im Bereich der wissenschaftlichen und beraterischen Arbeit tätig zu sein. 1994 hatten wir Paulo Freire und seine zweite Frau, die Historikerin Ana Maria Freire, in München zu Gast.
Er starb am 2. Mai 1997.
 

Zu einem seiner zentralen Themen "Verantwortung in der dritten und ersten Welt übernehmen:"
"Die an mich oft gerichtete Frage oder Feststellung lautet: "Paulo, Du bist ja schon ein interessanter Mensch. Auch Dein Diskurs ist schön, aber Du sprichst nicht von unserer Wirklichkeit. Wir, in der Ersten Welt, haben nichts mit dieser
Bewusstseinsbildung zu tun." 

Hinter solchen Feststellungen oder Fragen verbirgt sich in Wirklichkeit die Angst davor, die Dritte Welt in der Ersten Welt zu entdecken.
Es ist die Angst davor, die Verantwortung für die ungerechte Weltordnung zu übernehmen, "anzunehmen".

Es ist das Schuldgefühl, Erst-Weltler zu sein. 

Dieses Schuldgefühl sollte abgelegt, am besten auf den Müllhaufen geworfen werden. Keine Angst vor der Freiheit zu haben, das ist notwendig. Ich spreche von Pädagogik, der Wissenschaft der Erkenntnis, von Politik etc. und ich glaube nicht, dass alle diese Bereiche, über die
ich spreche, dass es diese Bereiche in der "1. Welt" nicht geben soll. Ich spreche genau von dieser pädagogischen Beziehung zwischen den Menschen.

Das ist also die "Angst vor der Freiheit". Ich sage Euch aber auch, dass ich Angst vor der Freiheit habe. Was ich aber wirklich versuche, in meinem Leben zu praktizieren, ist: die Freiheit zu lieben und nicht Angst vor ihr zu haben." 

Paulo Freire hat von 35 Universitäten die Ehrendoktorwürde erhalten. Seine Bücher sind in 18 Sprachen weltweit übersetzt. Die wichtigsten Bücher, in denen er die Grundelemente seiner befreienden Pädagogik darlegte, waren:

  • Pädagogik der Unterdrückten, Reinbeck, 1973 -Manuskript 1968.
  • Pädagogik der Solidarität - Für eine Entwicklungshilfe im Dialog, Wuppertal, 1974
  • Erziehung als Praxis der Freiheit Reinbeck 1977 (in Brasilien 1965 erschienen)
  • Dialog als Prinzip - Erwachsenenalphabetisierung in Guinea-Bissau, Wuppertal,1980. 
  • "Der Lehrer ist Politiker und Künstler - Neue Texte zur befreiendenBildungsarbeit", Reinbeck 1981 
  • 1994 erschien das Buch "Pädagogik der Hoffnung" in Englisch und Portugiesisch, eine engagierte Anwendung seiner Erziehungs-konzeption auf die 90er Jahre. Sein letztes Buch "Im Schatten des Mangobaumes" (Rio 1995) kann als Kritik am neoliberalen Wirtschaftsmodell gelesen werden. In ihm entwickelt er die Aufgaben des dialog-orientierten progressiven Pädagogen in postmodernen Zeiten.

Im Waxmann-Verlag erschien 2007/8 eine Zusammenstellung in drei Büchlein: Paulo Freire: 

  • 1) Unterdrückung und Befreiung  
  • 2) Bildung und Hoffnung 
  • 3) Pädagogik der Autonomie
 

"Erziehung bewegt nicht die Welt, Erziehung bewegt Menschen und Menschen bewegen die Welt"

Der brasilianische Pädagoge wäre heuer 100 Jahre alt geworden. Seine fundamentale Kritik an herkömmlicher Bildung und Erziehung ist hochaktuell. Seine Ideen und ihre Umsetzung für eine radikal demokratische Erziehung waren und sind es auch.

Donnerstag, Juli 08, 2021

Visionen der Veränderung: Forumtheater nach Augusto Boal - neues Buch zu den Erfahrungen

"Es ist nicht genug verlangt,
wenn man vom Theater nur Erkenntnisse,
aufschlußreiche Abbilder der Wirklichkeit verlangt.


Unser Theater muß die Lust am Erkennen erregen, den Spaß an der Veränderung der Wirklichkeit organisieren.

Unsere Zuschauer müssen nicht nur hören, wie man den gefesselten Prometheus befreit, sondern auch sich in der Lust zu schulen, sich zu befreien.

Alle die Lüste und Späße der Erfinder und Entdecker, die Triumphgefühle der Befreier müssen vom unserem Theater gelehrt werden." (Bertolt Brecht, 1953)

Genau darum geht es in unserem neuen Buch. Mit freundlichen Grüßen, Dieter Koschek

Odierna/Woll (Hg):

Visionen der Veränderung

Forumtheater nach Augusto Boal. Theorie, Entwicklungen, aktuelle Positionen und Perspektiven ISBN 3930830602 - 2021 - 220 S. 19 Euro „Das Forumtheater nach Augusto Boal bringt Veränderungsprozesse in Gang. Es ist Theater, das „Politik macht“.

Lernprozesse werden in Gang gesetzt, die kulturelle Bildung öffnet sich politischen Veränderungs­prozessen. Die gemeinsame spielerische Suche nach ungewöhnlichen Problemlösungen spricht nicht nur die rationale Seite des Menschen an, sondern auch seine emotionale, seine lustbetonte und setzt somit Impulse zu neuen Denk- und Handlungsweisen frei.

Der Band gibt einen umfassenden Einblick in die aktuellen Auseinandersetzungen zu Theorie und Praxis des Forumtheater nach Augusto Boal in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich, der Schweiz, Spanien und Rumänien.

Es geht um Begriff, Geschichte und Wirkung des Forumtheater. Die Praxisbeispiele zeigen die vielfältige Theaterarbeit: … mit Kindern, in Schule, Stadtteilarbeit, zur Suchtprävention, Inklusion, Legislatives Theater, Arbeit in Strafanstalten und zum Thema „Anti-Rechtsextremismus“. 19.00 € Preise inkl. MwSt., Versand


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Das Vorgänger-Buch: 

Theater macht Politik

Mittlerweile gibt es eine vielfältige Praxis an Theaterarbeit, die sich auf Boal beruft, es gibt Praxisforschung und wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Thema. Aber es bedarf in mancherlei Hinsicht einer Einordnung, eines Überblicks und einer Handreichung.

Das Werkstattbuch versucht den Kraftfeldern des Theater der Unterdrückten – und insbesondere des Forumtheater – zu folgen, den Blick für eigene und politische Veränderungsprozesse zu öffnen und Motivation freizusetzen, mit dieser ungewöhnlichen Theaterform zu arbeiten. 

Die Erfahrungen aus der Bildungsarbeit und den verschiedensten sozialen und kulturellen Bereichen haben gezeigt, dass der Sprung in die Praxis eine Herausforderung bleibt, den es zu unterstützen gilt. Das Werkstattbuch ist ein Schritt in diese Richtung.

enthüllungen

die beiden enthüllungen von santa teresa

enthüllungen - entlarvungen - der kritische Blick - die 7 schleier des idealismus

aufklärung kehrt zurück:

  • aus der idealisierung der aufklärung
  • aus den idealismen des militarismus
  • aus den mythologisierungen des kapitals

die einfachen bilder einfacher menschen

nein, hier nicht als falsche idealisierung, sondern als würdigung:

subjektive sicht ist wichtiger als scheinbare wissenschaftliche ojektivität

über den eigenen ausdruck

  • zur selbstbestimmung und zur beteiligung,
  • zur sprache bringen - zu bildern bringen
  • zum gemeinsamen planvollen handeln kommen
  • für ein theater der veränderung

Das Vorgänger-Buch: “Theater macht Politikhttp://www.agspak-buecher.de/epages/15458842.sf/de_DE/?ObjectID=14610193

100 Jahre Paulo Freire

Paulo Freire (* 19. September 1921 in Recife; † 2. Mai 1997 in São Paulo) war ein in Theorie und Praxis international einflussreicher brasilianischer Jurist, Pädagoge und weltweit rezipierter Autor (wikipedia ) und wirkt international in die Kritische Pädagogik wie in die Kritische Theorie: auch das Theater der Unterdrückten als Kritische Praxis

Die Gedanken und pädagogischen Ansätze von Paulo Freire in der Pädagogik der Unterdrückten waren in den siebziger Jahren so revolutionär, dass sie viele Menschen weltweit begeisterten. Konservativen Politikern und PädagogInnen erschienen sie (manchen bis heute) zu „verdächtig“, um sie in unsere Bildungs-Praxis umzusetzen:

Veranstaltungen im Nord-Süd-Forum München

„Erziehung bewegt nicht die Welt, Erziehung bewegt Menschen und Menschen bewegen die Welt“

Am 19.9.2021 wäre der brasilianische Pädagoge Paulo Freire 100 Jahre alt. Veranstaltungsreihe mit unseren Erfahrungen, zu seinen Gedanken und Werken und zur Anwendung seiner Ideen hierzulande und weltweit in kritischer Theorie und Praxis.

Auf https://nordsuedforum.de/paulofreire die ganze Übersicht, meine Beiträge:

100 Jahre Paulo Freire

 

 

Dienstag, März 09, 2021

Bedeutung und Aktualisierung der Befreiungspädagogik Paulo Freires: Dr. Alexandre Magno Tavares da Silva, Bundesuniversität Pernambuco 2019 + 2020

 https://www.rosalux.de/en/event/es_detail/R2GO3/bedeutung-und-aktualisierung-der-befreiungspaedagogik-in-paulo-freire?cHash=5366593e3cbe17e221a86f9c191d69fe

Bedeutung und Aktualisierung der Befreiungspädagogik Paulo Freires

Ein Dialog mit Bildungsinitiativen im Nordosten Brasiliens 

Universität Duisburg Essen, Institut für Erziehungswissenschaft
Raum: S06 S04 B06
Universitätsstraße 2
45141 Essen

Date 05.10.2019, 10:30 - 15:00 Hr

Themes Brasilien / Paraguay, Bildungspolitik

Mit: Dr. Alexandre Magno Tavares da Silva, Bundesuniversität Pernambuco

Paulo Freires Befreiungspädagogik hat als wichtigste Ausgangspunkte das pädagogische Handeln in Bildungsprojekten, die Suche und Entwicklung eines kritischen sozialpädagogischen Konzepts und das Verständnis von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen als soziohistorische Subjekte. 

Der Ansatz Freires macht die Lebensbedingungen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zum Gegenstand einer gemeinsamen kritischen Auseinandersetzung und stärkt damit ihr Engagement im Kampf um soziale und politische Veränderungen. 

Der Austausch und die Reflektion von Erfahrungen in einer freireanischen Perspektive qualifiziert die Interpretationsmöglichkeiten der Realität und erweitert die Ausübung der Selbstkritik der Praxis. 

Im Rahmen dieser Arbeitstagung sollen Grundlagen, Gegenwartsrelevanz und Möglichkeiten der Weiterentwicklung des pädagogischen Denkens Freires erörtert werden. 

Hierzu sollen insbesondere aktuelle Bezugnahmen auf dieses Denken in der kritischen pädagogischen Praxis Brasiliens im Mittelpunkt stehen.

Alexandre Magno Tavares da Silva forscht und lehrt an der Bundesuniversität Pernambuco, Brasilien, unter Anderem zu den Themen Menschenrechte und Menschenrechtsbildung, Befreiungspädagogik Paulo Freires und Kritische Sozialpädagogik. 

Er ist Leiter der Forschungsgruppe „Kritische Sozialpädagogik, Paulo Freire und Menschenrechtsbildung" (Pedagogia Social Crítica, Paulo Freire e Direitos Humanos) und Mitglied in der Forschungsgruppe Paulo Freire (Cátedra Paulo Freire-UFPE).

  http://politeknik.de/p7888/

Paulo Freire und die Konstruktion eines Bildungskonzepts im Dialog von Erziehern und Straßenkinder im Lebensalltag: 

Beitrag zur den Projekt der Erweiterung Menschenrechts auf Bildung –

Prof. Dr. Alexandre Magno Tavares da Silva

Bundesuniversität von Paraíba/Brasilien 2020

BrasilienDer Beitrag Paulo Freire[1] für unsere Artikel gründet vor allem in der Tatsache, dass sein Denken einer der hauptsächlichen Bezugspunkte für die Arbeit in den Bildungsprojekten mit Straßenkinder war und ist, bei der Entwicklung und Suche nach einem sozial-erzieherischen Konzept, das die Kinder und Jugendlichen als Subjekte der Geschichte begreift (ein Konzept für eine Bildung mit ihnen und nicht nur für sie).

Es soll eine Kritischer Pädagogik sein, die die Lebensbedingungen der Kinder und Jugendlichen für sie selbst zum Gegenstand der Reflexion macht (innerhalb der Tätigkeiten im Bildungsprojekt – vor allem in den Projektwerkstätten), damit sich daraus ihr notwendiges Engagement für den Kampf um ihre Befreiung entwickeln kann (FREIRE, Paulo. 1981-35).

Wir haben uns die Sicht Paulo Freires zu eigen gemacht, Erziehung und Bildung als einen Humanisierungsfaktor im Leben der menschlichen Person aufzufassen und die Bildung durch Lebenserfahrung als eine Praxis des Dialogs zu gestalten, die bei ihm, nach Gadotti, „von Liebe, Demut, Hoffnung, Glauben und Vertrauen getragen wird“ (GADOTTI; Moacir. 1988-26) und so den jungen Menschen zu einer Begegnung mit sich selbst führt, bei der er sein Wissen und seine Erfahrung reflektiert, um auf dieser Grundlage ein neues Wissen und eine Kultur zu entwickeln, die mit seinen Interessen verbunden ist.

Das Wichtige bei dem erzieherischen Geschehen ist, in dem Kind und dem Jugendlichen das Bewusstsein zu bilden, dass der Vorgang des Erlernens, wie man einen Besen herstellt in dem Moment politisch wird, in dem sie den Herstellungsprozess (und den Ort, der ihnen bei diesem Prozess zugewiesen ist) mit dem Subjekt in Verbindung bringt, das den Besen benutzen wird.

Sowohl der Jugendliche,  der den Besen herstellt, wie auch die Straßenkehrerin, die das Produkt seiner Arbeit benutzt, sind in ein und dieselbe soziale Problematik verwickelt, oft sogar als Mütter und Kinder. Und beide werden den Weg ihrer Befreiung von dem Moment an beschreiten, wo sie sich als kollektive Subjekte in diesem Prozess erkennen, denn für Freire befreit kein Mensch einen anderen, noch befreit sich jemand selbst: Die Menschen befreien sich in Gemeinschaft (FREIRE, Paulo. 1981).

Die Demontage des Lernens durch Arbeit

Die Entwicklung von Praktiken der Bildungsarbeit mit marginalisierten Kindern und Jugendlichen, bei denen Arbeit als erzieherisches Mittel eingesetzt wird, ist bis heute (leider) von einem Bildungskonzept geprägt, bei dem die Kinder und Jugendlichen lernen sollen, um arbeiten zu können, damit sie diesen oder jenen Gegenstand herstellen können. Es wird in diesem Rahmen aber nicht als notwendig erachtet wird, dass der Schüler ein bewusstes Verständnis seiner Lebenswelt als Arbeiter (seiner Wünsche, seiner Erlebnisse etc.) entwickelt.

Diese Konzeption kommt einer „ökonomistischen Praxis von Bildung durch Arbeit“ in dem Maße gleich, wie sich die Rolle der Kinder und Jugendlichen auf ein Lernen nach vorbestimmten Modellen beschränkt, durch die nur die Bedürfnisse des Marktes bedient werden. Dabei wird kein „Wissen“ präsent, denn nach Freire „existiert Wissen nur im kreativen Schaffen und Neuschaffen, in dem ruhelosen, ungeduldigen und ununterbrochenen Suchen, das die Menschen in der Welt, mit der Welt und mit den anderen entfalten.“ (FREIRE, 1981:66).

Die Rolle der pädagogischen Betreuerinnen und Betreuer bei der Bildung durch Arbeit

Ausgehend von den Aspekten, die wir angeführt haben, sind wir der Ansicht, dass die Einsicht der pädagogischen Betreuer (in den Projektwerkstätten) in die Notwendigkeit des politischen Charakters der sozial-erzieherischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Armutsverhältnissen ihnen (den Betreuern) helfen kann, zu erkennen, dass die Problematik der marginalisierten Kinder und Jugendlichen nicht durch eine Beschäftigung mit produktiver Arbeit, mit berufsbildenden Tätigkeiten gelöst werden kann ohne eine gleichzeitige Reflexion über den alltäglichen Lebensalltag.

Im Hintergrund des Lebens in Leid und Elend, das die marginalisierten Kinder und Jugendlichen führen, existiert eine Welt, die gewisse Werte, gewisse Ansichten und gewisse Kompetenzen in sich einschließt.

Da sich das Leben der Kinder und Jugendlichen in Armutsverhältnissen in den Straßen, Gassen und auf den Plätzen abspielt, wo sie sich mit den verschiedensten „Gaunereien“ durchschlagen, bewegen sie sich in einer Welt, die nicht die Welt des Betreuers ist, und es kommt zu einem unvermeidbaren Schock, der den Betreuer zu einer Haltung verleitet, bei der er die Welt der Kinder und Jugendlichen verändern will, aber nicht seine eigene.

Für Freire müssen die Kinder und Jugendlichen, die in den Programmen von Bildung durch Lebenserfahrung der Bildungsprojekte mitarbeiten und gleichzeitig in der Wirklichkeit des Lebens auf der Straße stehen, „kritisch verstehen lernen, was der Grund für ihren Kampf ist, sie müssen verstehen, warum sie in den Straßen umherlaufen, (…) sie verändern sich nur, wenn sie in dem Leben, das sie führen, eine bewusste Rolle annehmen. Das heißt, sie verändern sich nicht definitiv, aber sie machen sich bereit für Veränderungen“ (FREIRE, 1985-13).

Dies ist keine leichte Aufgabe für den pädagogischen Betreuer, denn sie erfordert neben dem streng wissenschaftlichen Begreifen der Realität soziale und historische Sensibilität, die den Betreuer lehrt, gewisse Formen purer Auflehnung oder anderer fatalistischer Haltungen bei den Kindern und Jugendlichen zu verstehen, um mit ihnen zu versuchen, diese Haltungen zu überwinden, denn unsere Zuneigung diesen Kindern gegenüber, denen ein Daseinsrecht verweigert wird, gelangt nur dann authentisch zum Ausdruck, wenn wir uns von dem Traum leiten lassen, eine besser Welt zu erschaffen (FREIRE, Paulo. 1985-13).

Den Lebens- und Arbeitsalltag in einer Projektwerkstatt zu verstehen bedeutet nicht einfach, sich mit den Kindern und Jugendlichen über die entwickelten Tätigkeiten zu unterhalten, darüber, was hergestellt wird, wie und wann es hergestellt wird etc., sondern es bedeutet vor allem die Kinder und Jugendlichen in ihrer Lebenswelt zu begreifen, ihre Wirklichkeit und ihre Möglichkeiten zu erkennen sich zu fragen, wer dieses Kind ist und was es für mich (Betreuer/in) bedeutet.

Wie Paulo Freire wissen wir jedoch, dass die praktische Arbeit der Befreiung Beschränkungen unterliegt, und es ist die Erfahrung selbst, die uns das lehrt, denn „oft tut man, was man kann und nicht, was man gerne tun würde. Es gibt ökonomische Beschränkungen, soziale und ideologische Beschränkungen, historische Beschränkungen und Beschränkungen des Wissen und der Erkenntnis“. (FREIRE, Paulo: 1985-22).

 

Literatur

FREIRE, Paulo. Pädagogik der Unterdruckten – Bildungs als Praxis der Freiheit. Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1998

FREIRE, Paulo. Paulo Freire e Educadores de Rua – uma abordagem crítica. Projeto Alternativa de atendimento a meninos de rua. UNICEF/SAS/FUNABEM.

FREIRE, Paulo. Educação e Mudança, 10a. Edicao. Sao Paulo. Pay e Terra, 1985.

FREIRE, Paulo. Pedagogia do Oprimido. 10a. Edicao. Sao Paulo. Paz e Terra, 1981.

FREIRE, Paulo; BETTO, Frei. Esta escola chamada Vida. Editora Atica, 4a. Edicao. Sao Paulo. 1986.

GADOTTI, Moacir. Historia das Ideias Pedagógicas. 8a. ed. Sao Paulo: Zahar, 1988

[1]   Freire war selbst die Opfer. 1921 ist er in Recife, Brasilien geboren. Die Familie, die dem Burgertum angehörte, geriet in den Strudel der Weltwirtschaftskrise nach 1929. Er erfuhr, was Hunger ist und was der Hunger der Entwicklungs- und Lernfähigkeit eines Kindes antut. Mit elf Jahren legte er ein Gelubde ab: er wollte sein Leben dem Kampf gegen den Hunger widmen, dem Kampf fur die Hungernden. Er wurde zunächst Rechtsanwalt. Als er entdeckte, dass Recht, das er studiert hatte, das Recht der Eigentümer gegen die Habenichtse war, gab er den Beruf auf. Er wurde Lehrer, Professor fur Geschichte und Philosophie der Pädagogik. (FREIRE, 1998)

Wer war Rosa Luxemburg? - Lutz Brangsch