Montag, August 02, 2021

Kurzportrait Paulo Freire und die Ansiedlung seiner Ideen hierzulande

und eine aktuelle Zusammenstellung aus twitter: 

https://100-jahre-paulo-freire.blogspot.com

Die Ideen Paulo Freire's

wurden außer durch entwicklungspolitisch-kirchliche Kreise auch in einigen
europäischen Ländern von der Europäischen Arbeitsgruppe
Bewusstseinsbildung verbreitet, die sieben Mitgliedsgruppen umfasste:  

  • den Arbeitskreis Freire in der AG SPAK München, 
  • Centro di Animazione per 'l Autogestione Populare (Palermo / Italien),
  • Friedensuniversität Namur (Belgien), 
  • die Jugendakademie Walberberg (Bornheim- Köln) 
  • Institut Oecuménique pour le Dévelopement des Peuples (Paris), 
  • Mouvement d' Animation de Base / International Ontmoetingscentrum (Hasselt / Belgien) 
  • und die Escuela Professionale Emigrati / Berufsschule der Emigrierten (Zürich).  
Aus diesem Dachverband ist Anfang der neunziger Jahre in Deutschland und Belgien die Paulo Freire Gesellschaft mit Sitz in München entstanden, die sich der Aufgabe stellte, die theoretischen Grundlagen der Freire-Pädagogik in der Praxis zu erforschen und die Praktiker mit den Forschern in Verbindung zu bringen.

Zahlreiche Fachtagungen und die zeitschrift für befreiende pädagogik
verarbeiteten und verbreiteten die Reflexionen der Kolleg*innen aus der Praxis. Die jetzige Paulo-Freire-Gesellschaft in Berlin pflegt den Austausch und die Partnerschaften aus der Arbeit von
Ilse Schimpf-Herken mit Lehrenden in Chile und anderen mittelamerikanischen Ländern:
Begegnung verändert Gesellschaft

Vor allem in Latein- und Mittelamerika hat Paulo Freire grundlegende
Veränderungen in der Erwachsenenbildung bewirkt, aber auch im französisch-sprachigen Afrika bildet sein Ansatz die Grundlage der bildungspolitischen Basisarbeit. 

Freire selbst hat längere Zeit in den ehemaligen portugiesischen
Kolonien (Angola, Mozambik, Sao Tome und Principe) gearbeitet und dort einen entscheidenden Einfluss auf das Bildungssystem ausgeübt. Heute werden die anthropologischen und pädagogischen Prinzipien der Freire-Pädagogik in Schwarzafrika in zahllosen Bildungsorganisationen angewandt. 

Das vorletzte Heft unserer Zeitschrift für befreiende Pädagogik war diesen Projekten gewidmet. 

Kurzporträt Paulo Freire

Geboren am 19.9.1921 in Recife im Nordosten Brasiliens. Als Paulo Freire 13 Jahre alt war, starb der Vater und für eine ganze Reihe von Jahren regierte der Hunger in Paulo Freires Leben. 

Mit großer Anstrengung gelang es ihm, ein Jurastudium zu absolvieren. 1944 Heirat mit Elza Maria Oliviera, einer Grundschullehrerin und 1946
Arbeit als Lehrer für portugiesische Sprache in der Abteilung für Erziehung und Kultur im Sozialdienst der Industrie, später dort als Direktor für den Bundesstaat Pernambuco bis 1956, Unstimmigkeiten bezüglich seiner demokratischen Arbeitsmethode.

1961 startete eine von Freire konzipierte Alphabetisierungskampagne in Brasilien auf nationaler Basis. Der damalige Präsident Goulart ordnete an, dass mit Freire's Methode in "20.000 Kulturzirkeln" 2 Millionen Erwachsene alphabetisiert werden sollten, als Grundlage für das Wahlrecht. 

1964 Staatsstreich durch die Militärs, Freire kam 75 Tage ins Gefängnis und dann ins Exil, u.a. 4 Jahre in Chile (Agrarministerium, Fortbildung für landlose Bauern) und ein Jahr an der Universität in Harvard (USA) als Gastprofessor.

1971 übernahm er beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf die Stelle als Berater für Bildungsfragen in den "Entwicklungsländern". In dieser Zeit war er in vielen Ländern (spez. in Sao Tomé und Principe, Mosambik, Angola, Nicaragua) tätig. 

1980 nach der Demokratisierung in Brasilien Rückkehr aus dem Exil. Mitarbeit im Rahmen der Erzdiözese Sao Paulo (Kardinal Arns), an der Katholischen Universität (PUC), sowie ab 1989 als Stadtrat für Erziehungsangelegenheiten in Sao Paulo. 

1991 trat Freire von diesem Posten zurück, um wieder mehr im Bereich der wissenschaftlichen und beraterischen Arbeit tätig zu sein. 1994 hatten wir Paulo Freire und seine zweite Frau, die Historikerin Ana Maria Freire, in München zu Gast.
Er starb am 2. Mai 1997.
 

Zu einem seiner zentralen Themen "Verantwortung in der dritten und ersten Welt übernehmen:"
"Die an mich oft gerichtete Frage oder Feststellung lautet: "Paulo, Du bist ja schon ein interessanter Mensch. Auch Dein Diskurs ist schön, aber Du sprichst nicht von unserer Wirklichkeit. Wir, in der Ersten Welt, haben nichts mit dieser
Bewusstseinsbildung zu tun." 

Hinter solchen Feststellungen oder Fragen verbirgt sich in Wirklichkeit die Angst davor, die Dritte Welt in der Ersten Welt zu entdecken.
Es ist die Angst davor, die Verantwortung für die ungerechte Weltordnung zu übernehmen, "anzunehmen".

Es ist das Schuldgefühl, Erst-Weltler zu sein. 

Dieses Schuldgefühl sollte abgelegt, am besten auf den Müllhaufen geworfen werden. Keine Angst vor der Freiheit zu haben, das ist notwendig. Ich spreche von Pädagogik, der Wissenschaft der Erkenntnis, von Politik etc. und ich glaube nicht, dass alle diese Bereiche, über die
ich spreche, dass es diese Bereiche in der "1. Welt" nicht geben soll. Ich spreche genau von dieser pädagogischen Beziehung zwischen den Menschen.

Das ist also die "Angst vor der Freiheit". Ich sage Euch aber auch, dass ich Angst vor der Freiheit habe. Was ich aber wirklich versuche, in meinem Leben zu praktizieren, ist: die Freiheit zu lieben und nicht Angst vor ihr zu haben." 

Paulo Freire hat von 35 Universitäten die Ehrendoktorwürde erhalten. Seine Bücher sind in 18 Sprachen weltweit übersetzt. Die wichtigsten Bücher, in denen er die Grundelemente seiner befreienden Pädagogik darlegte, waren:

  • Pädagogik der Unterdrückten, Reinbeck, 1973 -Manuskript 1968.
  • Pädagogik der Solidarität - Für eine Entwicklungshilfe im Dialog, Wuppertal, 1974
  • Erziehung als Praxis der Freiheit Reinbeck 1977 (in Brasilien 1965 erschienen)
  • Dialog als Prinzip - Erwachsenenalphabetisierung in Guinea-Bissau, Wuppertal,1980. 
  • "Der Lehrer ist Politiker und Künstler - Neue Texte zur befreiendenBildungsarbeit", Reinbeck 1981 
  • 1994 erschien das Buch "Pädagogik der Hoffnung" in Englisch und Portugiesisch, eine engagierte Anwendung seiner Erziehungs-konzeption auf die 90er Jahre. Sein letztes Buch "Im Schatten des Mangobaumes" (Rio 1995) kann als Kritik am neoliberalen Wirtschaftsmodell gelesen werden. In ihm entwickelt er die Aufgaben des dialog-orientierten progressiven Pädagogen in postmodernen Zeiten.

Im Waxmann-Verlag erschien 2007/8 eine Zusammenstellung in drei Büchlein: Paulo Freire: 

  • 1) Unterdrückung und Befreiung  
  • 2) Bildung und Hoffnung 
  • 3) Pädagogik der Autonomie
 

"Erziehung bewegt nicht die Welt, Erziehung bewegt Menschen und Menschen bewegen die Welt"

Der brasilianische Pädagoge wäre heuer 100 Jahre alt geworden. Seine fundamentale Kritik an herkömmlicher Bildung und Erziehung ist hochaktuell. Seine Ideen und ihre Umsetzung für eine radikal demokratische Erziehung waren und sind es auch.

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