Montag, September 12, 2022

"Szenisches Verhandeln" von Uta Atzpodien

Forumtheater war den staatlich und städtisch finanzierten Theatern immer fremd geblieben, weil sie nur an einen fertigen künstlerischen Autoren-Text oder ihre geprobte Performance glauben.

Forumtheater folgte dem Traum von Bert Brecht, mit dem Publikum in Dialog zu kommen. Was er auch für das Radio erhoffte, ist den weit agileren Südamerikanern vorbehalten geblieben, wenn sie, wie Paulo Freire in der Pädagogik der Unterdrückten, und Augusto Boal im Theater der Unterdrückten, den Dialog auf Augenhöhe erzeugten.

Verhandeln geht nur mit gleicher Höhe: Wie Aikido, argentinischer Tango und die Dämonen-Begegnung in der Heldenreise in Seminaren der Gestalttherapie: Es braucht eine Aus-Ein-Ander-Setzung, die den anderen Part ernst nimmt, nicht auslöschen will, sondern annehmen kann. 

 

„Mit Hilfe des Theaters soll dem Menschen ein Werkzeug an die Hand gegeben werden, Verständnis und Lösungen für soziale und persönliche Probleme zu entwickeln. Augusto Boal: Der Regenbogen der Wünsche (…)

Seine im Laufe der Jahre entwickelten Methoden des Zeitungstheaters, Unsichtbaren Theaters, Forumtheaters und jüngst des Legislativen Theater … " S.87 in:

 

Bewusstmachen und Handeln:
Augusto Boal 


Aus dem Buch "Szenisches Verhandeln"
von Uta Atzpodien 

https://doi.org/10.1515/9783839403389-004 

"Theater kann zu einem äußerst dynamischen Ort kreativen Verhandelns kultureller und gesellschaftlicher Fragen werden. Das zeigt diese wissenschaftliche Reise durch das zeitgenössische Theater Brasiliens und insbesondere durch die Theaterszene in Sao Paulo. 

Dieser Band begegnet dem brasilianischen Theater des 20. Jahrhunderts und vor allem Theatergruppen und -machern seit den 90er Jahren in ihrem geschichtlichen und soziokulturellen Kontext. 

Im Dialog mit postkolonialen und lateinamerikanischen Kulturtheorien werden der Blick und das Verständnis für die im deutschen Sprachraum bisher kaum erforschte Theaterpraxis in Brasilien erweitert. 

Lange Brasilienaufenthalte und enge Kontakte zur Theaterszene ermöglichen der Außenperspektive der Autorin tiefer gehende Einblicke. Diese machen auch die wissenschaftliche Praxis zu einem kulturellen Verhandeln. 

Nicht die Dramatik steht im Zentrum - wie häufig in der hiesigen Beschäftigung mit dem Theater Lateinamerikas -, sondern das Theater als Inszenierung und vergängliches Ereignis in einem konkreten soziokulturellen Kontext. Es geht um ein Theater, das bewusst kollektiv orientiert ist, den Arbeitsprozess betont und gezielt nach grenzüberschreitenden Räumen sucht.

Uta Atzpodien (Dr. phil.), geb. 1968, ist freie Dramaturgin und Autorin. Sie studierte Theaterwissenschaft, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Politikwissenschaft und Hispanistik in Mainz, Valencia und Bogotá. Seit 1995 ist sie Mitarbeiterin des Festival Internacional de Londrina (FILO) in Brasilien und hat seit Anfang der 90er Jahre bei Theaterprojekten u.a. in Brasilien, Chile und Kolumbien mitgewirkt."

degruyter.com/document/doi/10.1515/9783839403389/html

 

degruyter.com/document/doi/10.1515/9783839403389-004/html

S.
Für ein tiefer gehendes Verständnis der Theatersituation in den 90er Jahren soll im Folgenden exemplarisch auf Augusto Boal, Ze Celso, Antunes Filho und Gerald Thomas eingegangen werden. Da alle vier Theatermacher als Referenzen die jüngeren Generationen - wenngleich in unterschiedlicher Intensität -geprägt haben, geht es darum, skizzenhaft ihre paradigmatischen Rollen für unterschiedliche Verortungen und Strategien im Umgang und Verhandeln von Kultur herauszuarbeiten. 

4.2 Ein Theater des Bewusstmachens und Handelns -Augusto Boal 

„Mit Hilfe des Theaters soll dem Menschen ein Werkzeug an die Hand gegeben werden, Verständnis und Lösungen für soziale und persönliche Probleme zu entwickeln. Augusto Boal: Der Regenbogen der Wünsche (…)

Wenn man heute eine internationale Studie über die Bekanntheit brasilianischer Theatermacher durchführte, so läge Augusto Boal mit Abstand an der Spitze. Das mag an den langen Jahren liegen, die er im lateinamerikanischen und europäischen Exil verbracht hat und an den bis heute von ihm weltweit geleiteten Workshops. 

Seine im Laufe der Jahre entwickelten Methoden des Zeitungstheaters, Unsichtbaren Theaters, Forumtheaters und jüngst des Legislativen Theater … 

In Anmerkungen: 

Bei den elf Techniken des Zeitungstheaters geht es um spontane und spielerische Reaktionen auf die Tagespresse, die ein »Richtig lesen lehren und lernen zum Ziel haben. »Es geht nicht darum, ein Kunstwerk zu schaffen. Jeder kann Künstler sein, jeder Raum kann zum Theaterraum werden, jedes Thema ist ein Thema fürs Theater.  

Augusto Boal (1989): Theater der Unterdrückten. Frankfurt: Suhrkamp, 29 f. 43 

Im Unsichtbaren Theater wird eine vorher ausgearbeitete Konfliktsituation in der Öffentlichkeit gespielt, ohne dass sich das zufällige Publikum der Theatersituation bewusst ist und leicht zu einem unwissenden Mitspieler wird.

Im Forumtheater soll der Zuschauer in eine szenisch vorgestellte Konfliktsituation spielerisch handelnd eingreifen, die Rolle des Protagonisten übernehmen, um dabei zu helfen, Lösungen für die angesprochenen Probleme zu finden.“

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