Samstag, September 25, 2021

Verwandtschaft von Gestalt und Forumtheater: in: Theater im Dialog: heiter, aufmüpfig und demokratisch Deutsche und europäische Anwendungen des Theaters der Unterdrückten

 Die Verwandtschaft von Gestalt und Forum-Theater

Einleitung meines Artikels in 

Theater im Dialog: heiter, aufmüpfig und demokratisch
Deutsche und europäische Anwendungen des Theaters der Unterdrückten





















Theater der Unterdrückten
und die Gestalt-Therapie

Die Menge der Schnittstellen ist viel zu groß, um dieses Thema erschöpfend zu skizzieren, doch möchte ich vor allem für jene, denen die Grundlinien der Gestalttherapie nicht bekannt sind, eine knappe Einführung zusammenstellen, umgekehrt könnte für Gestalt-Arbeitende eine Anregung zur Auseinandersetzung mit den Forum-Theater-Methoden daraus erwachsen, und vielleicht wird manchen deutlich, dass bereits Gestalt- Prinzipien in Ihre Arbeitsstile eingeflossen sind.

1. Dialog geht nicht von oben nach unten

1.1. seit den siebziger Jahren ...

Theater lebt in der klassischen Form von der Trennung in Bühne als magischen Raum und Publikum. Was oberhalb der Rampe passiert, ist vorbereitet, heiliges Ritual, dramatischer Bogen, darf nicht gestört werden. Das von oben Kommende ist heilig, das Publikum unten darf klatschen.

Bert Brecht versuchte, die emanzipatorischen Impulse seiner Zeit aufzugreifen und suchte nach Wegen, von dieser klassischen Form zu neuen, dialogischen Formen zu kommen.

Bekannt wurde vor allem das Verfremden, nicht gläubige Inszenierungen auf die Bühne zu bringen, sondern brüchige, in der Struktur und Machart durchsichtige Stücke, die zur Auseinandersetzung anregen sollten.

Jahre später führten andere seine Versuche fort:
Die fast schon verzweifelt wirkenden Kontaktversuche des action-theater bei FASSBINDER und seiner Gruppe, die vor allem in Handke's Publikumsbeschimpfung das Publikum in den Stücken zu Reaktionen bringen sollten, achteten in ihrem jugendlichen Sendungsbewusstsein nicht so sehr auf das Macht-Gefälle, das über die Rampe kommt: Wer oben steht, hat Vorteile ...

1.2. in meiner Geschichte:

Entsprechend lernte ich selbst in der Schauspielschule Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre noch die Rollen in autoritär geprägter Kunstform.

Groß war dann meine Überraschung, als AUGUSTO BOAL in einer Aufführung in der münchner Alabamahalle die Übungen, wie wir sie aus dem Gruppentraining kannten, auch zum Aufwärmen mit dem Publikum machte und Szenen vorstellte, die wir verändern sollten, indem wir dazu auf die Bühne kommen und die Rolle der unterdrückten Person anders zu Ende spielen sollten.

Das machten auch einige, und es war ein spannender Abend, nach dem sich viele für den nächsten Wochenend-Workshop eintrugen. Damit begann dann auch meine Lehrzeit mit dem Theater der Unterdrückten, die über einige Jahre vor allem am Theaterhaus Berlin weiterging.

Parallel lernte ich in der politischen Arbeit in der Friedensbewegung

auch die Gestalt-Therapie und das Gestalt-Leben als Grundhaltung im Hier und Jetzt kennen,
die Freire-Pädagogik war mir schon aus der Dritte-Welt-Bewegung im Studium vertraut geworden, im Arbeitskreis Bewusstseinsbildung der AG SPAK lernte ich dann die genaueren Prinzipien dieses emanzipatorischen Ansatzes, der die Lernenden in ihrem forschenden Bewusstseins-Prozess begleitet, nicht mit "Stoff" und "Wahrheiten" entmündigt.

2. Verschiedene Wurzeln -
Gemeinsames Menschenbild

Im Umfeld sind auch noch andere Methoden inspirierend:
Das Arme Theater des Jerzy Grotowski entkleidet das in den Requisiten und Soffiten verstaubte Ritual und holt es in den puren körperlichen Ausdruck zurück. Das Living Theater zieht mit experimentellen Projekten (wie noch einige andere Theater) durch die Welt und bringt politische Themen auf die Bühnen.

2.1. Aufbruchs-Bewegungen
nehmen Gestalt und Forum-Theater

Die zeitliche Entwicklung der beiden Arbeitsweisen liegt parallel in den sechziger bis achziger Jahren, und die Verwandtschaften liegen nicht nur bei den beiden Gründervätern:
Fritz Perls hatte im Max-Reinhardt-Seminar das Theater kennengelernt, Augusto Boal war über die Jahre immer mit den Fragen nach den Unterschieden zum Psychodrama konfrontiert.

Im Kampf gegen die anachronistischen Militärdiktaturen,
die zum großen Teil durch die CIA in den lateinamerikanischen Ländern "inszeniert" wurden,
setzten die Gruppen mit großem Lerneifer alle Methoden ein, die ihnen aus der "freien Welt" als hilfreich und politisch aufgeschlossen unterkamen.

Alle, die nach Methoden suchten, die nicht durch enge linke und gewalt-orientierte Agitation eingeschränkt waren, tauschten in dieser Zeit international Ideen und Arbeitsweisen aus:
Befreiungstheologie und Entwicklungshilfe er-gänzten sich zu neuen Methoden der Erwachsenenbildung.

3. Das Wort Gestalt

ist in der englischen Sprache ein Fremdwort, es wird im deutschen Sprachraum leider oft mit Gestaltung assoziiert. Offene Gestalt meint aber ein Geschehen, das noch nicht abgeschlossen ist: Wenn ich durch ein Geschehen wie z.B. einen Unfall auf herannahende Autos erschreckt reagiere, habe ich diesen Unfall noch nicht wirklich verarbeitet, ist das Thema offen. 

Kann ich mich nach einiger Zeit und Gewöhnung wieder bedenkenlos im Strassen-verkehr bewegen, habe ich die Gestalt wieder geschlossen. Bin ich nicht be-reit, mich wieder auf Strassenverkehr einzulassen, brauche ich Begleitung oder bleibe ich in meiner Traumatisierung gefangen. Der Begriff entstammt der Gestalt-Psychologie der 20er Jahre.

3.1. erste Gestalt-Arbeiten in den USA und Kanada in den 1960ern:

Mit den Trainings in gewaltfreier Aktion der Anti-Atom- und der Friedensbewegung
kamen in den siebziger Jahren über einige nordamerikanische Trainer auch die Ansätze der Gestalttherapie im sozialen Gruppenlernen nach Deutschland, die dann mit unseren Seminaren Einzug in den Gruppen der alternativen Szene hielten.

Grundlage ist dafür wiederum das dialogische Prinzip und der Kontakt, die Laura und Fritz Perls und Paul Goodman auf der Grundlage von Martin Buber's "Ich und Du" und seinem existentialistischen Ansatz in die psychotherapeutische Arbeit einbrachten.

Diese Arbeit fand in den politischen nordamerikanischen Szenen vor allem in Gruppen statt
und hatte in den Hippie-Bewegungen grosse Resonanz bis in die Untergrund-Literatur und -Philosophie hinein.
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