Sonntag, August 04, 2024

Gestaltexperiment - oder Gemeinschaftlich erForschen? Dr. Steve Vinay Gunther

Dr. Steve Vinay GuntherThe Gestalt Experiment

3 Minute Gestalt Therapy Series, unit #12 https://www.youtube.com/watch?v=-JGMUXfk3Ho

Dies ist Einheit Nr. 12 zum Gestaltexperiment. 

Wir sagen, dass es in der Gestalt vier Säulen gibt, eine davon ist das Gestaltexperiment. Es gibt auch Feldtheorie, Dialog und Bewusstsein. 

In der Gestalt nutzen wir das Experiment, um das Bewusstsein zu erforschen, aber wir tun dies nicht nur durch Reden, sondern durch Inszenieren, durch Verkörpern, indem wir etwas nehmen, über das die Person spricht, und es ausprobieren. Bei dem Experiment geht es um Erfahrungslernen. Wir unterrichten den Klienten also nicht, sondern helfen ihm, durch eine neue Erfahrung selbst etwas zu entdecken.

Das Experiment funktioniert, indem es die richtige Mischung aus Herausforderung und Unterstützung bietet, denn wir sagen, das Experiment ist eine Art sicherer Notfall. Wir wollen die Person also in einen Notfallmodus versetzen. Wir wollen nicht einfach „Business as usual“ machen. Wir möchten etwas Neues, Anderes und Riskantes ausprobieren, etwas, das sie vielleicht noch nie getan haben, oder in einem Tonfall sprechen, den sie normalerweise nie verwenden würden.

Wir schaffen die Sicherheit, die sie dafür brauchen. Wir bauen eine experimentelle Struktur auf, damit sie das ausprobieren können. Oft machen wir das mit ihnen. Und gleichzeitig bieten wir, während wir das riskante Element bieten, auch viel Unterstützung, denn wir möchten die Leute nicht traumatisieren oder es ihnen zu schwer machen.

Wenn sie Flugangst haben, sagen wir vielleicht: „Okay, stellen wir uns vor, wir sind jetzt im Flugzeug und ich sitze neben dir auf dem Sitz und der Pilot hebt gleich ab.“ Ich meine, es ist ein imaginäres Experiment, aber es weckt oft die Angstgefühle der Person, und dann können wir ihnen helfen, zu atmen und präsent zu bleiben und mit uns zu sprechen und eine Hand zu halten oder was auch immer.

Ich meine, ein echtes Experiment wäre – und manche Therapeuten machen das –, mit der Person ins Flugzeug zu steigen, aber oft ist das gar nicht nötig. Man kann bei solchen Nachbildungen oder sogar imaginären Experimenten viel erreichen, denn was wir tun, ist: Es geht uns nicht nur darum, irgendwohin zu kommen, wir wollen die Person dabei unterstützen, bewusster zu werden, darauf zu achten, was sie fühlt, und sie in diesem Prozess unterstützen.

Beim Gestaltexperiment geht es also sehr um Kreativität. Ursprünglich hatte Fritz Perls die zwei Stühle erfunden, und für mehrere Jahrzehnte wurde daraus „Gestalt“. Aber das war nur ein Experiment, das er entworfen hat. Tatsächlich entstehen die besten Experimente aus der Interaktion zwischen Therapeut und Klient, sie werden im Moment erdacht, sie passen zum Thema der Therapiesitzung, sie passen dazu, wer der Klient ist, sie sind irgendwie maßgeschneidert, sie sind immer einvernehmlich: 

Wir sagen: „Hey, wie wär’s damit, ich habe eine Idee, möchtest du das ausprobieren?“ Und dann unterstützen wir sie dabei. Wir zwingen sie ihnen also nicht einfach auf oder leiten sie einfach durch das Experiment, obwohl die Leute eine Art Anleitung brauchen, wie wenn wir es mit zwei Stühlen machen, wissen Sie, um zwischen dem Gespräch mit ihrer Mutter und oder zwischen zwei Polaritäten oder so etwas zu wechseln.

Aber das Experiment kann jede Form annehmen und es ist ein gewisser unterhaltsamer Teil der Gestalt. Selbst wenn es ein schweres Thema gibt, können wir im Experiment trotzdem ein bisschen damit spielen. Und durch diese Haltung der Kreativität und Verspieltheit können wir sehr schwierige Themen nehmen und sie irgendwie – nicht auflockern – aber Bewusstsein schaffen, frischen Wind in das Thema bringen, neue Erfahrungen.

Wenn jemand depressiv ist, dann – ich weiß nicht: Wir könnten damit experimentieren. Wir könnten sagen: „Okay, ich bin die depressive Person. Ich bin diejenige, die schwer aufzustehen ist, und du bist – du weißt schon, der Ehepartner, der versucht, dich aufzuwecken.“ Und, wissen Sie, das ist zum Beispiel eine Möglichkeit, Polaritäten zu wechseln. Und sie können aus der Rolle der depressiven Person heraustreten und sich in die Person verwandeln, die versucht, der depressiven Person zu helfen.

Es gibt also unendlich viele Möglichkeiten und es ist ein ziemlich einzigartiger Aspekt der Gestalttherapie, der ursprünglich aus dem Psychodrama stammt.

Sonntag, Juli 21, 2024

Life in a matriarchal society - On this island, women are in charge!

You can watch the Spanish version of this documentary here:    • Reinas de Orango – ¡En esta isla, las...   In southwestern Guinea Bissau there are some islands where a very special people live, the Bissago. What is it that makes them so special? It is not the fact of living in balance and harmony with the spectacular nature that surrounds them, taking from the land or the sea only what they need to survive. Neither is their deep animistic spirituality, which marks their life with rites to acquire the knowledge of their ancestors. What makes them so special is that, in the Bissago society, the woman is the protagonist. Subscribe to the channel: https://goo.gl/5Sp36B Follow us on Facebook:   / wocomo   They are the ones who decide how to manage the crops or punish the crimes, they are the priestesses of the temple, those who can communicate with the gods, the forces of nature and the spirits of the deceased. For the Bissago, the woman is feared and respected, since they consider her capable of deciding about life and death. This documentary focuses on the lives of some of the women of Eticoga, the main village on the island of Orango. Through their lives and ways of looking we will know the most outstanding and peculiar aspects of this matriarchal society so different, not only from the Western way of life, but from the rest of Africa and almost all other cultures on the planet. Original title - Queens of Orango A film by Raúl Bueno Herrera © 2020, Licensed by 3boxmedia

Montag, Januar 09, 2023

Volkacher Kirchberg 1991

 als ich in der Küche nach einem Weißwein suchte, fand ich einen Volkacher Kirchberg Bacchus Bocksbeutel von 1991, in hervorragender Verfassung, und mit traumhafter Geschichte:

Ich hatte einen Theaterworkshop dort mit evangelischer Jugend, und zum Thema Unterdrückung und Tabu spielten zwei Jungs von etwa 17 Jahren ihre Situation als schwules Paar, und mit fielen damals am Land noch beinah die Augen aus, aber die Gruppe hatte die Geschichte sehr gut verarbeitet und verstanden ... nach gut 30 Jahren ein hervorragender Tropfen!

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Auf euch beide, Rüdi wär jetzt 61 ...

wir meinen, haben gelernt, uns kontrollieren zu müssen. Wer dich liebt, wird dich mit deinen Macken ertragen, weiß sie wahrscheinlich längst, und akzeptiert dich damit:

Eine der Überraschungen bei manchem, was wir heute „coming out“ nennen: „Aus dem Einbauschrank kommen“, den unsere bürgerliche Erziehung uns für das Innenleben bereit gestellt hat, ob für sexuelle Orientierungen oder für psychische Besonderheiten, für körperliche Krankheiten oder berufliches und oft finanzielles Versagen:

Die Anderen wussten längst davon, oder ahnten es zumindest!

queer zu sein, erscheint heute vielen jungen Leuten kein Problem, aber es ist noch nicht in allen Berufen, Betrieben, Branchen und Einrichtungen so weit: Kennst du eine lesbische Lehrerin, einen schwulen Lehrer? Was würden deine Eltern sagen, wenn eine Lehrkraft offen bisexuell auftritt?

Bundeswehr und Polizei lernten allmählich, damit umzugehen, aber Kultusministerium und Schulleitung?

Montag, September 12, 2022

"Szenisches Verhandeln" von Uta Atzpodien

Forumtheater war den staatlich und städtisch finanzierten Theatern immer fremd geblieben, weil sie nur an einen fertigen künstlerischen Autoren-Text oder ihre geprobte Performance glauben.

Forumtheater folgte dem Traum von Bert Brecht, mit dem Publikum in Dialog zu kommen. Was er auch für das Radio erhoffte, ist den weit agileren Südamerikanern vorbehalten geblieben, wenn sie, wie Paulo Freire in der Pädagogik der Unterdrückten, und Augusto Boal im Theater der Unterdrückten, den Dialog auf Augenhöhe erzeugten.

Verhandeln geht nur mit gleicher Höhe: Wie Aikido, argentinischer Tango und die Dämonen-Begegnung in der Heldenreise in Seminaren der Gestalttherapie: Es braucht eine Aus-Ein-Ander-Setzung, die den anderen Part ernst nimmt, nicht auslöschen will, sondern annehmen kann. 

 

„Mit Hilfe des Theaters soll dem Menschen ein Werkzeug an die Hand gegeben werden, Verständnis und Lösungen für soziale und persönliche Probleme zu entwickeln. Augusto Boal: Der Regenbogen der Wünsche (…)

Seine im Laufe der Jahre entwickelten Methoden des Zeitungstheaters, Unsichtbaren Theaters, Forumtheaters und jüngst des Legislativen Theater … " S.87 in:

 

Bewusstmachen und Handeln:
Augusto Boal 


Aus dem Buch "Szenisches Verhandeln"
von Uta Atzpodien 

https://doi.org/10.1515/9783839403389-004 

"Theater kann zu einem äußerst dynamischen Ort kreativen Verhandelns kultureller und gesellschaftlicher Fragen werden. Das zeigt diese wissenschaftliche Reise durch das zeitgenössische Theater Brasiliens und insbesondere durch die Theaterszene in Sao Paulo. 

Dieser Band begegnet dem brasilianischen Theater des 20. Jahrhunderts und vor allem Theatergruppen und -machern seit den 90er Jahren in ihrem geschichtlichen und soziokulturellen Kontext. 

Im Dialog mit postkolonialen und lateinamerikanischen Kulturtheorien werden der Blick und das Verständnis für die im deutschen Sprachraum bisher kaum erforschte Theaterpraxis in Brasilien erweitert. 

Lange Brasilienaufenthalte und enge Kontakte zur Theaterszene ermöglichen der Außenperspektive der Autorin tiefer gehende Einblicke. Diese machen auch die wissenschaftliche Praxis zu einem kulturellen Verhandeln. 

Nicht die Dramatik steht im Zentrum - wie häufig in der hiesigen Beschäftigung mit dem Theater Lateinamerikas -, sondern das Theater als Inszenierung und vergängliches Ereignis in einem konkreten soziokulturellen Kontext. Es geht um ein Theater, das bewusst kollektiv orientiert ist, den Arbeitsprozess betont und gezielt nach grenzüberschreitenden Räumen sucht.

Uta Atzpodien (Dr. phil.), geb. 1968, ist freie Dramaturgin und Autorin. Sie studierte Theaterwissenschaft, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Politikwissenschaft und Hispanistik in Mainz, Valencia und Bogotá. Seit 1995 ist sie Mitarbeiterin des Festival Internacional de Londrina (FILO) in Brasilien und hat seit Anfang der 90er Jahre bei Theaterprojekten u.a. in Brasilien, Chile und Kolumbien mitgewirkt."

degruyter.com/document/doi/10.1515/9783839403389/html

Sonntag, August 14, 2022

zoom-Gestalt-Quarterly am 4.9.22 zum Thema ANGST

 

Angst


Gestalt und der Umgang mit Angst


Einladung zum dritten QUARTERLY 2022, dem vierteljährlichen Treffen von Gestalt-Freunden, und solchen, die es vielleicht werden wollen:

Am Sonntagabend dem 4. September 2022 von 17:30 Uhr bis 20 Uhr

wollen wir uns mit Euch gemeinsam an das Thema Angst wagen.


Wir alle kennen Angst und begegnen ihr doch selten freiwillig. Sie erreicht uns über die Medien, deren Themen oft bedrohlich wirken: Katastrophen, Umweltzerstörung, Krieg in der Ukraine, Coronavirus, Energiekrise, Inflation, … 

Diese Themen stehen einerseits für Realitäten, die Handlung erfordern. Sie scheinen sich aber auch dann gut zu verkaufen, wenn sie uns keine direkte Handlungsoption bieten.

Aber auch im Alltag ist Angst vielen Menschen ein dauerhafter Begleiter, der sie in ihrem Denken und Handeln einschränkt und sie belastet. Anderen begegnet Angst ganz plötzlich, „wie aus heiterem Himmel“ – im Angesicht von Gewalt, Krankheit und Verlust.

Angst zeigt sich auf vielfältige Weise. Genauso vielfältig wie die Bedeutung, die wir ihr geben sind auch unsere Möglichkeiten, darauf zu antworten, um uns zu stabilisieren und handlungsfähig zu bleiben oder wieder zu werden.

Wir freuen uns sehr, dass wir Anna-Katharina Kreyer 
https://psychotherapie-kreyer-bonn.de
für einen Impulsvortrag gewinnen konnten. Anschließend gibt es Raum für Austausch zum Thema Angst, im persönlichen, gesellschaftlichen und therapeutisch -beraterischen Kontext.

Das Quarterly soll auch die Vernetzung der Gestalt Community unterstützen. Wer also Unterstützer*innen für eigene Anliegen sucht, findet hier wieder eine Möglichkeit der Kontakt-Aufnahme.

Die Teilnahme am Quarterly ist wie immer kostenlos. Gerne könnt ihr diese Einladung an Kolleg*innen und Interessent*innen weiterleiten, damit der "Gestaltkreis" auch öffentlich wächst.

Euer Vorbereitungsteam:

Fritz, Isabel, Katharina, Margit, Martin, Nicola, Sabine und Frank


Anmeldung:

Damit wir abschätzen können wer alles teilnimmt, meldet euch bitte über unsere Homepage an: https://gestaltquarterly.wixsite.com/gestalt-quarterly

Samstag, September 25, 2021

Verwandtschaft von Gestalt und Forumtheater: in: Theater im Dialog: heiter, aufmüpfig und demokratisch Deutsche und europäische Anwendungen des Theaters der Unterdrückten

 Die Verwandtschaft von Gestalt und Forum-Theater

Einleitung meines Artikels in 

Theater im Dialog: heiter, aufmüpfig und demokratisch
Deutsche und europäische Anwendungen des Theaters der Unterdrückten





















Theater der Unterdrückten
und die Gestalt-Therapie

Die Menge der Schnittstellen ist viel zu groß, um dieses Thema erschöpfend zu skizzieren, doch möchte ich vor allem für jene, denen die Grundlinien der Gestalttherapie nicht bekannt sind, eine knappe Einführung zusammenstellen, umgekehrt könnte für Gestalt-Arbeitende eine Anregung zur Auseinandersetzung mit den Forum-Theater-Methoden daraus erwachsen, und vielleicht wird manchen deutlich, dass bereits Gestalt- Prinzipien in Ihre Arbeitsstile eingeflossen sind.

1. Dialog geht nicht von oben nach unten

1.1. seit den siebziger Jahren ...

Theater lebt in der klassischen Form von der Trennung in Bühne als magischen Raum und Publikum. Was oberhalb der Rampe passiert, ist vorbereitet, heiliges Ritual, dramatischer Bogen, darf nicht gestört werden. Das von oben Kommende ist heilig, das Publikum unten darf klatschen.

Bert Brecht versuchte, die emanzipatorischen Impulse seiner Zeit aufzugreifen und suchte nach Wegen, von dieser klassischen Form zu neuen, dialogischen Formen zu kommen.

Bekannt wurde vor allem das Verfremden, nicht gläubige Inszenierungen auf die Bühne zu bringen, sondern brüchige, in der Struktur und Machart durchsichtige Stücke, die zur Auseinandersetzung anregen sollten.

Jahre später führten andere seine Versuche fort:
Die fast schon verzweifelt wirkenden Kontaktversuche des action-theater bei FASSBINDER und seiner Gruppe, die vor allem in Handke's Publikumsbeschimpfung das Publikum in den Stücken zu Reaktionen bringen sollten, achteten in ihrem jugendlichen Sendungsbewusstsein nicht so sehr auf das Macht-Gefälle, das über die Rampe kommt: Wer oben steht, hat Vorteile ...

1.2. in meiner Geschichte:

Entsprechend lernte ich selbst in der Schauspielschule Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre noch die Rollen in autoritär geprägter Kunstform.

Groß war dann meine Überraschung, als AUGUSTO BOAL in einer Aufführung in der münchner Alabamahalle die Übungen, wie wir sie aus dem Gruppentraining kannten, auch zum Aufwärmen mit dem Publikum machte und Szenen vorstellte, die wir verändern sollten, indem wir dazu auf die Bühne kommen und die Rolle der unterdrückten Person anders zu Ende spielen sollten.

Das machten auch einige, und es war ein spannender Abend, nach dem sich viele für den nächsten Wochenend-Workshop eintrugen. Damit begann dann auch meine Lehrzeit mit dem Theater der Unterdrückten, die über einige Jahre vor allem am Theaterhaus Berlin weiterging.

Parallel lernte ich in der politischen Arbeit in der Friedensbewegung

auch die Gestalt-Therapie und das Gestalt-Leben als Grundhaltung im Hier und Jetzt kennen,
die Freire-Pädagogik war mir schon aus der Dritte-Welt-Bewegung im Studium vertraut geworden, im Arbeitskreis Bewusstseinsbildung der AG SPAK lernte ich dann die genaueren Prinzipien dieses emanzipatorischen Ansatzes, der die Lernenden in ihrem forschenden Bewusstseins-Prozess begleitet, nicht mit "Stoff" und "Wahrheiten" entmündigt.

2. Verschiedene Wurzeln -
Gemeinsames Menschenbild

Im Umfeld sind auch noch andere Methoden inspirierend:
Das Arme Theater des Jerzy Grotowski entkleidet das in den Requisiten und Soffiten verstaubte Ritual und holt es in den puren körperlichen Ausdruck zurück. Das Living Theater zieht mit experimentellen Projekten (wie noch einige andere Theater) durch die Welt und bringt politische Themen auf die Bühnen.

2.1. Aufbruchs-Bewegungen
nehmen Gestalt und Forum-Theater

Die zeitliche Entwicklung der beiden Arbeitsweisen liegt parallel in den sechziger bis achziger Jahren, und die Verwandtschaften liegen nicht nur bei den beiden Gründervätern:
Fritz Perls hatte im Max-Reinhardt-Seminar das Theater kennengelernt, Augusto Boal war über die Jahre immer mit den Fragen nach den Unterschieden zum Psychodrama konfrontiert.

Im Kampf gegen die anachronistischen Militärdiktaturen,
die zum großen Teil durch die CIA in den lateinamerikanischen Ländern "inszeniert" wurden,
setzten die Gruppen mit großem Lerneifer alle Methoden ein, die ihnen aus der "freien Welt" als hilfreich und politisch aufgeschlossen unterkamen.

Alle, die nach Methoden suchten, die nicht durch enge linke und gewalt-orientierte Agitation eingeschränkt waren, tauschten in dieser Zeit international Ideen und Arbeitsweisen aus:
Befreiungstheologie und Entwicklungshilfe er-gänzten sich zu neuen Methoden der Erwachsenenbildung.

3. Das Wort Gestalt

ist in der englischen Sprache ein Fremdwort, es wird im deutschen Sprachraum leider oft mit Gestaltung assoziiert. Offene Gestalt meint aber ein Geschehen, das noch nicht abgeschlossen ist: Wenn ich durch ein Geschehen wie z.B. einen Unfall auf herannahende Autos erschreckt reagiere, habe ich diesen Unfall noch nicht wirklich verarbeitet, ist das Thema offen. 

Kann ich mich nach einiger Zeit und Gewöhnung wieder bedenkenlos im Strassen-verkehr bewegen, habe ich die Gestalt wieder geschlossen. Bin ich nicht be-reit, mich wieder auf Strassenverkehr einzulassen, brauche ich Begleitung oder bleibe ich in meiner Traumatisierung gefangen. Der Begriff entstammt der Gestalt-Psychologie der 20er Jahre.

3.1. erste Gestalt-Arbeiten in den USA und Kanada in den 1960ern:

Mit den Trainings in gewaltfreier Aktion der Anti-Atom- und der Friedensbewegung
kamen in den siebziger Jahren über einige nordamerikanische Trainer auch die Ansätze der Gestalttherapie im sozialen Gruppenlernen nach Deutschland, die dann mit unseren Seminaren Einzug in den Gruppen der alternativen Szene hielten.

Grundlage ist dafür wiederum das dialogische Prinzip und der Kontakt, die Laura und Fritz Perls und Paul Goodman auf der Grundlage von Martin Buber's "Ich und Du" und seinem existentialistischen Ansatz in die psychotherapeutische Arbeit einbrachten.

Diese Arbeit fand in den politischen nordamerikanischen Szenen vor allem in Gruppen statt
und hatte in den Hippie-Bewegungen grosse Resonanz bis in die Untergrund-Literatur und -Philosophie hinein.
Weiter lesen in:


Montag, August 02, 2021

Kurzportrait Paulo Freire und die Ansiedlung seiner Ideen hierzulande

und eine aktuelle Zusammenstellung aus twitter: 

https://100-jahre-paulo-freire.blogspot.com

Die Ideen Paulo Freire's

wurden außer durch entwicklungspolitisch-kirchliche Kreise auch in einigen
europäischen Ländern von der Europäischen Arbeitsgruppe
Bewusstseinsbildung verbreitet, die sieben Mitgliedsgruppen umfasste:  

  • den Arbeitskreis Freire in der AG SPAK München, 
  • Centro di Animazione per 'l Autogestione Populare (Palermo / Italien),
  • Friedensuniversität Namur (Belgien), 
  • die Jugendakademie Walberberg (Bornheim- Köln) 
  • Institut Oecuménique pour le Dévelopement des Peuples (Paris), 
  • Mouvement d' Animation de Base / International Ontmoetingscentrum (Hasselt / Belgien) 
  • und die Escuela Professionale Emigrati / Berufsschule der Emigrierten (Zürich).  
Aus diesem Dachverband ist Anfang der neunziger Jahre in Deutschland und Belgien die Paulo Freire Gesellschaft mit Sitz in München entstanden, die sich der Aufgabe stellte, die theoretischen Grundlagen der Freire-Pädagogik in der Praxis zu erforschen und die Praktiker mit den Forschern in Verbindung zu bringen.

Zahlreiche Fachtagungen und die zeitschrift für befreiende pädagogik
verarbeiteten und verbreiteten die Reflexionen der Kolleg*innen aus der Praxis. Die jetzige Paulo-Freire-Gesellschaft in Berlin pflegt den Austausch und die Partnerschaften aus der Arbeit von
Ilse Schimpf-Herken mit Lehrenden in Chile und anderen mittelamerikanischen Ländern:
Begegnung verändert Gesellschaft

Vor allem in Latein- und Mittelamerika hat Paulo Freire grundlegende
Veränderungen in der Erwachsenenbildung bewirkt, aber auch im französisch-sprachigen Afrika bildet sein Ansatz die Grundlage der bildungspolitischen Basisarbeit. 

Freire selbst hat längere Zeit in den ehemaligen portugiesischen
Kolonien (Angola, Mozambik, Sao Tome und Principe) gearbeitet und dort einen entscheidenden Einfluss auf das Bildungssystem ausgeübt. Heute werden die anthropologischen und pädagogischen Prinzipien der Freire-Pädagogik in Schwarzafrika in zahllosen Bildungsorganisationen angewandt. 

Das vorletzte Heft unserer Zeitschrift für befreiende Pädagogik war diesen Projekten gewidmet. 

Kurzporträt Paulo Freire

Geboren am 19.9.1921 in Recife im Nordosten Brasiliens. Als Paulo Freire 13 Jahre alt war, starb der Vater und für eine ganze Reihe von Jahren regierte der Hunger in Paulo Freires Leben. 

Mit großer Anstrengung gelang es ihm, ein Jurastudium zu absolvieren. 1944 Heirat mit Elza Maria Oliviera, einer Grundschullehrerin und 1946
Arbeit als Lehrer für portugiesische Sprache in der Abteilung für Erziehung und Kultur im Sozialdienst der Industrie, später dort als Direktor für den Bundesstaat Pernambuco bis 1956, Unstimmigkeiten bezüglich seiner demokratischen Arbeitsmethode.

1961 startete eine von Freire konzipierte Alphabetisierungskampagne in Brasilien auf nationaler Basis. Der damalige Präsident Goulart ordnete an, dass mit Freire's Methode in "20.000 Kulturzirkeln" 2 Millionen Erwachsene alphabetisiert werden sollten, als Grundlage für das Wahlrecht. 

1964 Staatsstreich durch die Militärs, Freire kam 75 Tage ins Gefängnis und dann ins Exil, u.a. 4 Jahre in Chile (Agrarministerium, Fortbildung für landlose Bauern) und ein Jahr an der Universität in Harvard (USA) als Gastprofessor.

1971 übernahm er beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf die Stelle als Berater für Bildungsfragen in den "Entwicklungsländern". In dieser Zeit war er in vielen Ländern (spez. in Sao Tomé und Principe, Mosambik, Angola, Nicaragua) tätig. 

1980 nach der Demokratisierung in Brasilien Rückkehr aus dem Exil. Mitarbeit im Rahmen der Erzdiözese Sao Paulo (Kardinal Arns), an der Katholischen Universität (PUC), sowie ab 1989 als Stadtrat für Erziehungsangelegenheiten in Sao Paulo. 

1991 trat Freire von diesem Posten zurück, um wieder mehr im Bereich der wissenschaftlichen und beraterischen Arbeit tätig zu sein. 1994 hatten wir Paulo Freire und seine zweite Frau, die Historikerin Ana Maria Freire, in München zu Gast.
Er starb am 2. Mai 1997.
 

Zu einem seiner zentralen Themen "Verantwortung in der dritten und ersten Welt übernehmen:"
"Die an mich oft gerichtete Frage oder Feststellung lautet: "Paulo, Du bist ja schon ein interessanter Mensch. Auch Dein Diskurs ist schön, aber Du sprichst nicht von unserer Wirklichkeit. Wir, in der Ersten Welt, haben nichts mit dieser
Bewusstseinsbildung zu tun." 

Hinter solchen Feststellungen oder Fragen verbirgt sich in Wirklichkeit die Angst davor, die Dritte Welt in der Ersten Welt zu entdecken.
Es ist die Angst davor, die Verantwortung für die ungerechte Weltordnung zu übernehmen, "anzunehmen".

Es ist das Schuldgefühl, Erst-Weltler zu sein. 

Dieses Schuldgefühl sollte abgelegt, am besten auf den Müllhaufen geworfen werden. Keine Angst vor der Freiheit zu haben, das ist notwendig. Ich spreche von Pädagogik, der Wissenschaft der Erkenntnis, von Politik etc. und ich glaube nicht, dass alle diese Bereiche, über die
ich spreche, dass es diese Bereiche in der "1. Welt" nicht geben soll. Ich spreche genau von dieser pädagogischen Beziehung zwischen den Menschen.

Das ist also die "Angst vor der Freiheit". Ich sage Euch aber auch, dass ich Angst vor der Freiheit habe. Was ich aber wirklich versuche, in meinem Leben zu praktizieren, ist: die Freiheit zu lieben und nicht Angst vor ihr zu haben." 

Paulo Freire hat von 35 Universitäten die Ehrendoktorwürde erhalten. Seine Bücher sind in 18 Sprachen weltweit übersetzt. Die wichtigsten Bücher, in denen er die Grundelemente seiner befreienden Pädagogik darlegte, waren:

  • Pädagogik der Unterdrückten, Reinbeck, 1973 -Manuskript 1968.
  • Pädagogik der Solidarität - Für eine Entwicklungshilfe im Dialog, Wuppertal, 1974
  • Erziehung als Praxis der Freiheit Reinbeck 1977 (in Brasilien 1965 erschienen)
  • Dialog als Prinzip - Erwachsenenalphabetisierung in Guinea-Bissau, Wuppertal,1980. 
  • "Der Lehrer ist Politiker und Künstler - Neue Texte zur befreiendenBildungsarbeit", Reinbeck 1981 
  • 1994 erschien das Buch "Pädagogik der Hoffnung" in Englisch und Portugiesisch, eine engagierte Anwendung seiner Erziehungs-konzeption auf die 90er Jahre. Sein letztes Buch "Im Schatten des Mangobaumes" (Rio 1995) kann als Kritik am neoliberalen Wirtschaftsmodell gelesen werden. In ihm entwickelt er die Aufgaben des dialog-orientierten progressiven Pädagogen in postmodernen Zeiten.

Im Waxmann-Verlag erschien 2007/8 eine Zusammenstellung in drei Büchlein: Paulo Freire: 

  • 1) Unterdrückung und Befreiung  
  • 2) Bildung und Hoffnung 
  • 3) Pädagogik der Autonomie
 

"Erziehung bewegt nicht die Welt, Erziehung bewegt Menschen und Menschen bewegen die Welt"

Der brasilianische Pädagoge wäre heuer 100 Jahre alt geworden. Seine fundamentale Kritik an herkömmlicher Bildung und Erziehung ist hochaktuell. Seine Ideen und ihre Umsetzung für eine radikal demokratische Erziehung waren und sind es auch.

Donnerstag, Juli 08, 2021

Visionen der Veränderung: Forumtheater nach Augusto Boal - neues Buch zu den Erfahrungen

"Es ist nicht genug verlangt,
wenn man vom Theater nur Erkenntnisse,
aufschlußreiche Abbilder der Wirklichkeit verlangt.


Unser Theater muß die Lust am Erkennen erregen, den Spaß an der Veränderung der Wirklichkeit organisieren.

Unsere Zuschauer müssen nicht nur hören, wie man den gefesselten Prometheus befreit, sondern auch sich in der Lust zu schulen, sich zu befreien.

Alle die Lüste und Späße der Erfinder und Entdecker, die Triumphgefühle der Befreier müssen vom unserem Theater gelehrt werden." (Bertolt Brecht, 1953)

Genau darum geht es in unserem neuen Buch. Mit freundlichen Grüßen, Dieter Koschek

Odierna/Woll (Hg):

Visionen der Veränderung

Forumtheater nach Augusto Boal. Theorie, Entwicklungen, aktuelle Positionen und Perspektiven ISBN 3930830602 - 2021 - 220 S. 19 Euro „Das Forumtheater nach Augusto Boal bringt Veränderungsprozesse in Gang. Es ist Theater, das „Politik macht“.

Lernprozesse werden in Gang gesetzt, die kulturelle Bildung öffnet sich politischen Veränderungs­prozessen. Die gemeinsame spielerische Suche nach ungewöhnlichen Problemlösungen spricht nicht nur die rationale Seite des Menschen an, sondern auch seine emotionale, seine lustbetonte und setzt somit Impulse zu neuen Denk- und Handlungsweisen frei.

Der Band gibt einen umfassenden Einblick in die aktuellen Auseinandersetzungen zu Theorie und Praxis des Forumtheater nach Augusto Boal in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich, der Schweiz, Spanien und Rumänien.

Es geht um Begriff, Geschichte und Wirkung des Forumtheater. Die Praxisbeispiele zeigen die vielfältige Theaterarbeit: … mit Kindern, in Schule, Stadtteilarbeit, zur Suchtprävention, Inklusion, Legislatives Theater, Arbeit in Strafanstalten und zum Thema „Anti-Rechtsextremismus“. 19.00 € Preise inkl. MwSt., Versand


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Das Vorgänger-Buch: 

Theater macht Politik

Mittlerweile gibt es eine vielfältige Praxis an Theaterarbeit, die sich auf Boal beruft, es gibt Praxisforschung und wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Thema. Aber es bedarf in mancherlei Hinsicht einer Einordnung, eines Überblicks und einer Handreichung.

Das Werkstattbuch versucht den Kraftfeldern des Theater der Unterdrückten – und insbesondere des Forumtheater – zu folgen, den Blick für eigene und politische Veränderungsprozesse zu öffnen und Motivation freizusetzen, mit dieser ungewöhnlichen Theaterform zu arbeiten. 

Die Erfahrungen aus der Bildungsarbeit und den verschiedensten sozialen und kulturellen Bereichen haben gezeigt, dass der Sprung in die Praxis eine Herausforderung bleibt, den es zu unterstützen gilt. Das Werkstattbuch ist ein Schritt in diese Richtung.

enthüllungen

die beiden enthüllungen von santa teresa

enthüllungen - entlarvungen - der kritische Blick - die 7 schleier des idealismus

aufklärung kehrt zurück:

  • aus der idealisierung der aufklärung
  • aus den idealismen des militarismus
  • aus den mythologisierungen des kapitals

die einfachen bilder einfacher menschen

nein, hier nicht als falsche idealisierung, sondern als würdigung:

subjektive sicht ist wichtiger als scheinbare wissenschaftliche ojektivität

über den eigenen ausdruck

  • zur selbstbestimmung und zur beteiligung,
  • zur sprache bringen - zu bildern bringen
  • zum gemeinsamen planvollen handeln kommen
  • für ein theater der veränderung

Das Vorgänger-Buch: “Theater macht Politikhttp://www.agspak-buecher.de/epages/15458842.sf/de_DE/?ObjectID=14610193

100 Jahre Paulo Freire

Paulo Freire (* 19. September 1921 in Recife; † 2. Mai 1997 in São Paulo) war ein in Theorie und Praxis international einflussreicher brasilianischer Jurist, Pädagoge und weltweit rezipierter Autor (wikipedia ) und wirkt international in die Kritische Pädagogik wie in die Kritische Theorie: auch das Theater der Unterdrückten als Kritische Praxis

Die Gedanken und pädagogischen Ansätze von Paulo Freire in der Pädagogik der Unterdrückten waren in den siebziger Jahren so revolutionär, dass sie viele Menschen weltweit begeisterten. Konservativen Politikern und PädagogInnen erschienen sie (manchen bis heute) zu „verdächtig“, um sie in unsere Bildungs-Praxis umzusetzen:

Veranstaltungen im Nord-Süd-Forum München

„Erziehung bewegt nicht die Welt, Erziehung bewegt Menschen und Menschen bewegen die Welt“

Am 19.9.2021 wäre der brasilianische Pädagoge Paulo Freire 100 Jahre alt. Veranstaltungsreihe mit unseren Erfahrungen, zu seinen Gedanken und Werken und zur Anwendung seiner Ideen hierzulande und weltweit in kritischer Theorie und Praxis.

Auf https://nordsuedforum.de/paulofreire die ganze Übersicht, meine Beiträge:

100 Jahre Paulo Freire